© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

Die Woche
Schröders Waterloo
Fritz Schenk

Noch wissen wir es nicht - wahrscheinlich weiß er es selber nicht -, und vielleicht werden wir auch nie erfahren, welche Gedanken, Hintergedanken oder eher hinterhältigen Gedanken Gerhard Schröder getrieben haben, als er nach dem Wahldebakel der SPD in Nordrhein-Westfalen sich den Bubenstreich mit der vorgezogenen Bundestagswahl einfallen ließ. Es kann eigentlich nur Panik gewesen sein. Vielleicht hatte er wie viele Beobachter darauf spekuliert, daß es im größten deutschen Bundesland - ähnlich wie vorher in Brandenburg, Sachsen oder zuletzt in Schleswig-Holstein - auf eine rot-schwarze, schlimmstenfalls auch noch auf eine schwarz-rote Koalition zulaufen könnte. Aber daß der allgemein in Sympathiewerten und Kompetenz deutlich vor Jürgen Rüttgers liegende Peer Steinbrück so abgefackelt wurde, muß Schröder wohl völlig aus der Fassung gebracht haben.

Nun wundert er sich darüber, daß vor allem in seiner Partei wieder Kakophonie regiert, jenes Durcheinander- und Gegeneinanderschwadronieren, gegen das er sich nach der Verkündung seiner Agenda 2010 so vehement ausgesprochen und seiner Chaostruppe Einmütigkeit verordnet hatte. Mit der Abgabe des Parteivorsitzes an Franz Müntefering schien es ja zunächst auch so, als könnte sich die SPD bis zum ordentlichen Termin der Bundestagswahl im Herbst 2006 wieder fangen. Nachdem sich aber jetzt beide klammheimlich den Husarenritt mit dem fingierten Mißtrauensvotum einfallen ließen, sitzen sie denn nun auch beide in der selbst aufgestellten Falle. Alternativen haben sie nicht mehr - weder personell noch sachlich. Da Schröder wieder kandidieren will, müssen seine Genossen mit ihm durch oder untergehen. Und da die "Agenda" unangetastet und quasi auch das Wahlprogramm sein soll, sind auch keine inhaltlichen Bravourstücke zu erwarten. Was also soll das fingierte Vor-Wahlmanöver bringen, fragen sich vor allem seine Fußtruppen? Mit welchem Hauruck-Programm will er sie mobilisieren?

Schützenhilfe wird ihm da auch kaum aus der Opposition zulaufen, die früher immer ziemlich einfach aufs Glatteis zu ziehen war. Der primitivste Stolperstein war beim letzten Mal die in der Union strittige K-Frage. Die hat sich durch Schröders Panikhandlung praktisch im Handstreich erledigt. Innerhalb von wenigen Tagen war Angela Merkel ohne Kakophonie in der Union nominiert. Programmatisch kann es sich die Union ebenfalls leichtmachen. Schröders Agenda ist bekannt, über sie ist im Bundestag wie in der publizistischen Öffentlichkeit lange genug (und ohne erhellende Einsichten) palavert worden, das kann auch im Wahlkampf noch so weitergehen.

Mit seinem Überraschungscoup hat Schröder auch die Opposition der Misere enthoben, detaillierte Gegenprogramme zu entwerfen. Die Zeit bis zum Herbst reicht für alle Parteien gerade dazu aus, die notwendigen regionalen wie zentralen Parteitage abzuhalten, um Kandidatenlisten aufzustellen und die wichtigsten organisatorischen Fragen zu lösen. Und schließlich: Angesichts des offensichtlichen deutschen Debakels mit über fünf Millionen Arbeitslosen, einer billionenschweren und rasant weiterwachsenden Staatsverschuldung, Null-Wachstum und dem Chaos in den Sozialsystemen erwartet kaum ein Mensch noch wortreiche Programme. Der Macher Schröder hatte sieben Jahre lang seine Chance, er hat sie vertan, dafür wird es wahrscheinlich die Quittung geben.


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