© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

Pankraz,
Maria Theresia und der Weg ins Kanzleramt

Für Liebhaber der Geschichte reift mit der Bestallung Angela Merkels zur Kanzlerkandidatin ein Riesendatum heran: Zum ersten Mal kriegen die Deutschen ganz offiziell eine Frau als politische Nummer eins. Zwar gab es im Mittelalter einige sehr mächtige und hochachtbare Kaiserwitwen bzw. Kaisermütter, doch selbst Kaiserin wurde keine von ihnen. Und auch Maria Theresia von Habsburg wurde zwar durch die Pragmatische Sanktion von 1713 Herrscherin der habsburgischen Stammlande, doch den Kaisertitel mußte sie ihrem Mann Franz, später ihrem Sohn Joseph überlassen. Merkels Regierungsantritt wird also eine absolute Premiere sein, und schon das wird "dem Mädchen" (H. Kohl) einen dauerhaften Platz in den Annalen sichern. Fragt sich nur, was für einen.

Wenn sie gut beraten ist, dann wird sie sich der Exorbitanz ihrer Stellung künftig stets voll bewußt sein. Jeder Fehler, den sie macht, wird nicht nur ihr selbst und ihrer Partei angekreidet werden, sondern auch ihrem Geschlecht, zumindest dem "Projekt Weibliche Nummer eins" als solchem. Die Gefahr, daß alle am Ende sagen: "Es hat eben doch nicht gereicht", ist groß. Merkel hat durch ihren bisherigen Stil kräftig zur Gefahrensteigerung beigetragen. Von allen aktuell agierenden CDU/CSU-Größen, ja, im Grunde von allen zur Zeit agierenden Politgrößen überhaupt, ist sie die farbloseste, trockenste, berechenbarste. "Hier operiert ein Polit-Automat", meinte einer, "kein Mensch, geschweige denn eine Frau."

Andere sagen, so sei nun mal die moderne Politik, die sich dauernd an Stimmungen, Meinungsumfragen und exklusiv wirtschaftlichen Belangen ausrichten muß. Frau oder Mann, das sei hier völlig unerheblich. Man verweist auf Margaret Thatcher, die ihre speziell weiblichen Komponenten auch nicht zum Zuge habe bringen können. Sie brach die Macht der Gewerkschaften, führte den Krieg gegen Argentinien, konnte die deutsche Wiedervereinigung nicht verhindern. Und heute ist ihr Land wirtschaftlich mehr oder weniger eine Werkbank Japans und politisch ein Flugzeugträger der USA, zudem mit der (aus Thatchers Sicht) falschen Partei am Ruder.

Immerhin ist die Erinnerung an die "Ära Thatcher", an den "Thatcherismus", zweifellos ein kräftiger Farbtupfer im britischen Geschichtsbild. Auch glänzte Frau Thatcher seinerzeit mit der schier unendlichen Strecke ihrer hübschen Handtaschen, und sie verfügte über eine durchaus kraftvolle, die Phantasie der Zuhörer anregende Rhetorik - alles Tugenden, von denen Frau Merkel noch keine einzige vorgezeigt hat. Dabei wäre es gerade jetzt in der deutschen Politik so wichtig, daß die Nummer eins über ihr Tagessoll politökonomischer Phrasen hinaus höchstpersönlich neuartige geistespolitische Diskurse in Gang brächte, nicht zuletzt weiblich getönte, die die Welt der Gefühle, der Familie und der Kinder betreffen.

Maria Theresia im 18. Jahrhundert, man wagt kaum daran zu erinnern, gewann nicht zuletzt den Respekt der damaligen Öffentlichkeit und die Zuneigung des Volkes, indem sie, außer als gewiefte Politikerin, tüchtige Reformerin von Handel, Gewerbe und Schulwesen, immer auch als gute Frau und Mutter ins Bild trat. Ihr glückliches, untadeliges Familienleben ist legendär und hat eine ganze Folklore aus Gemälden, Erzählungen und liebenswürdigen Anekdoten nach sich gezogen. Im historischen Rückblick erscheint die Habsburgerin (sehr im Gegensatz übrigens zu vielen ihrer zeitgenössischen Mitpolitikerinnen, Katharina von Rußland, Madame Pompadour) geradezu als Inbegriff erfolgreicher frauengeprägter Politik, eines "typisch fraulichen" Regierungsstils, von dem auch moderne Politikerinnen manches lernen könnten.

Wie leer und fast provozierend nurfunktionalistisch dagegen das Auftreten und die Verlautbarungen der Angela Merkel! Sie ist von Haus aus Pastorentochter und gelernte Physikerin, aber wer sie beobachtet, der findet nichts, aber auch gar nichts Pastorales, lediglich Physiklehrbuch, in dem alles nach irgendwelchen angeblich "objektiven" Gesetzen abrollt und die Dazwischenkunft fühlender Seelen nur "Unordnung" anrichten kann. Sehr bezeichnend: Zur Feier ihres fünfzigsten Geburtstags hatte sich die Politikerin ausgerechnet den Festvortrag eines verbissenen Groß-Neurologen gewünscht, der die Willensfreiheit für einen bloßen Scherz unaufgeklärter Seminarteilnehmer hält.

So bleibt im Grunde nur die Hoffnung des Sprichworts: "Der Mensch wächst mit seinen Aufgaben". Gerade bei Politikern passiert das ja gar nicht so selten, man denke an Kaiser Augustus, an König Heinrich IV. von Frankreich, an Stresemann oder Truman. Auch im Falle Merkels erscheint die Hoffnung als nicht gänzlich utopisch. Es wäre immerhin möglich, daß sie in wichtigen Situationen den Mut zu eindeutigen Entscheidungen findet und dazu das rechte Wort zur rechten Zeit. Das wäre schon viel.

Voraussetzung dafür ist freilich, daß sie sich überhaupt erst einmal der Möglichkeiten bewußt wird, die der Nummer eins eines großen und wichtigen Landes zur Verfügung stehen. Bisher operierte Angela Merkel stets sozusagen aus der Sklavenperspektive heraus: "Alles ist vorgegeben, alles ist abhängig von objektiven Notwendigkeiten, historischen Auflagen und vom Willen überlegener Mächte, ich kann nur reagieren, nicht wirklich agieren." Wer so denkt, wird Deutschland nur Schaden zufügen, wird es nur immer weiter in den Zustand der Lethargie und der Mittelmäßigkeit hineinstoßen.

Auch für sich selbst erreicht er dann ziemlich schnell lediglich den Zustand voll entfalteter Inkompetenz oder, physikalisch gesprochen, der Entropie, wo die Machtmoleküle nur noch um sich selber kreisen und sich zu keiner wirklichen Tat mehr aufraffen können. Er geht dann, ob Frau oder Mann, als "Flasche leer" (Giovanni Trapattoni) in die Geschichte ein und hat dabei sogar noch Glück gehabt.


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