© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

Bavaria geht auf den Strich
Schleichwerbung kompakt: Ein ungeheurer Korruptionsskandal erschüttert die ARD
Andreas Wild

Es gibt viele Stufen der Korruption. Mit ganz unten rangiert wohl die sogenannte Schleichwerbung, auch product placement genannt, wo Autoren und Regisseure gegen beste Bezahlung bestimmte Firmenprodukte, Autos, Müslipackungen, Fitneßstudios usw. in ihre Filme einbauen, ohne das Publikum extra darauf hinzuweisen.

Nun ist eine schier monströse Steigerung des Treibens bekannt geworden. Für TV-Seifenopern wie "Marienhof", "In aller Freundschaft" oder "Rosenheim-Cops", so kam heraus, geht die ARD-Tochter Bavaria Film, die die Serien herstellt, regelrecht auf den Firmenstrich. Sie offeriert den Werbeabteilungen der Firmen ganze Dialoge, Handlungsfäden und Knotenschürzungen zur freien Verfügung. Die Firmen "kaufen" die Dialoge, Fäden und Knoten und gestalten sie dann im Sinne ihrer Werbelogik selber, ohne daß der Fernsehzuschauer etwas davon erfährt. Die Bavaria-Texter und -Regisseure müssen die Sachen nur noch möglichst nahtlos mit der übrigen Handlung verknüpfen.

Zehn Jahre soll das schon so gegangen sein, riesige Summen wechselten in der Zeit den Besitzer, und alle sackten ein und hielten dicht, die Bavaria-Manager, die Drehbuchschreiber, die Regisseure und auch die Schauspieler. Ein Redakteur vom evangelischen Pressedienst edp, der Verdacht geschöpft und sich bei der Bavaria hatte anstellen lassen, um dort undercover zu recherchieren, hat den Riesendeal aufgedeckt.

Die Affäre hat neben moralischen und juristischen Aspekten auch mancherlei arbeitstechnische, gewissermaßen medien-soziologische. Die Vorabendserie "Marienhof" dürfte für Filmologen und Medienforscher ungeahnte Attraktivität gewinnen. Sie kann unter der Wucht der Enthüllungen nicht mehr sauber dem einen oder anderen Genre zugeordnet werden. Ist sie ein klassischer (Fernseh-)Spielfilm? Ist sie ein Werbespot? Ist sie ein Fake, eine Lüge, ein bloßes Verbrechen, das schleunigst aus der Erinnerung verbannt werden sollte? Oder wurde mit ihr die Tür aufgestoßen zu völlig neuen Formen der medialen Massenkultur, vielleicht zu einem ganz neuen Genre, genannt "Konsumoper", inklusive Gewinnspiel für die Beteiligten bei unverändert hochkünstlerischer Ambition?

Orientalische Teppichhändler sollen zu den bevorzugten Kunden der Bavaria gehört haben. In der "alten" Schleichwerbung wurden solche Leute, nachdem das Geld geflossen war, ungefähr folgendermaßen bedient: Zwei Liebende wälzen sich auf dem Sofa und fallen dabei runter auf den Teppich. Stürmisch rappelt man sich auf, Großaufnahme, die Teppich-Ecke klappt im Gewühl um, der Blick der Kamera fällt kurz auf das Firmenetikett des Teppichs. Dann Kameraschwenk.

Bei der "neuen" Konsumoper geht es komplizierter zu. Zunächst ruft der verantwortliche Bavaria-Drehbuchschreiber die Firma an und macht sein Angebot: "Wir haben in einer der nächsten Folgen eine Liebesszene, die teilweise auf dem Teppichboden spielen soll, genau das Richtige für Sie. Ich schicke Ihnen den Drehbuchentwurf zu, damit Sie ihn nach Ihrem Ermessen gestalten können. Es kostet 6.000 Euro. Ich hoffe, Sie sind einverstanden."

Das Geld fließt, der entsprechende Drehbuchteil geht ab - und kommt umgehend in der von der Firma bearbeiteten Fassung zurück. Auch hier fällt das Liebespaar vom Sofa auf den Teppich, doch gibt es dazu extra einen kleinen Dialog: Sie (nach einer Schrecksekunde): "Oh, schön weich! Was hast du denn da für einen wundervollen neuen Boden!" Er (beiläufig): "Ja, nicht wahr? Stammt von der Firma X. Und war gar nicht teuer." Sie (indem die beiden ihre Spielchen wiederaufnehmen): "Sollte man sich merken."

So also und ähnlich ging es zehn Jahre lang bei der Bavaria Film zu, und was sich dabei auf faszinierende Weise am meisten veränderte, war zweifellos die Funktion des Drehbuchschreibers, des Autors, den man eigentlich gar nicht mehr Autor nennen kann. Er ist zu einer Art Arrangeur oder Chorleiter geworden, der allenfalls das große Ganze entwirft und es dann stückweise via outsourcing an aushäusige Werbefritzen verkauft.

Geschäftspartner der Bavaria war die "Placement-Agentur" H+S, die ihrerseits Gestaltungswünsche diverser Kunden sammelte und sie oft "im Block" an die Bavaria weitergab. Den Produzenten hier lag dann für eine anstehende Serienfolge ein kompletter Angebotskatalog von Kauf- und Gestaltungswünschen vor, die vom "Autor" nur noch unter einen Hut gebracht werden mußten. Für eine bestimmte Folge standen zum Beispiel außer den Teppichhändlern noch ein Waschmittelkonzern und der Verband der deutschen Tanzlehrer an. Der "Autor" hatte nun einen Rahmen zu entwerfen, in dem Teppichböden, neue Seifen und Modetänze (plus die Tanzschulen, in denen sie gelehrt werden) organisch und publikumswirksam zusammengebracht werden konnten. Keine leichte Aufgabe dies. Nicht jeder "Autor" ist dem gewachsen, auch wenn er sich längst aller moralischen Skrupel begeben hat.

Das öffentliche "Entsetzen" über den ARD/Bavaria-Skandal ist jetzt natürlich groß. Schleichwerbung ist schlicht verboten und wird bestraft. Die sogenannten "kommerziellen" Sender umgehen das Verbot, indem sie bei den Werbeeinlagen längst nicht mehr "schleichen", sondern sie völlig offen und gleichsam ununterbrochen vorzeigen. Schon ein oberflächliches, einmaliges Zappen durch die lange Strecke unserer Kanäle zeigt, daß unser Fernsehen im Zeichen der "New Economy" ein einziger aufdringlich riechender Reklamesumpf geworden ist. Es gibt dort faktisch nur noch product placement, um das sich einige alberne "freie" Scherze gruppieren.

Die Öffentlich-Rechtlichen mußten sich in Sachen placement bisher zurückhalten, aber der Bavaria-Skandal beweist, daß ihre Zurückhaltung nur äußerlich war, daß auch sie längst von dem Virus befallen sind. Die ARD-Intendanten haben "strengste Untersuchung" der Vorfälle und "eventuell tiefreichende Konsequenzen" angekündigt; man darf gespannt sein, ob den Worten Taten folgen und welche. Schon jetzt ist klar, daß es vorrangig nicht um die juristische Begleichung einiger einzelner Korruptionsfälle gehen müßte, sondern um die Korruptheit des Systems insgesamt und um eine Richtungsentscheidung.

Die vom Staat bezahlten Öffentlich-Rechtlichen haben einen hehren Bildungsauftrag, der sie ausdrücklich dazu verpflichtet, auf Qualität zu achten und auch gehobene Ansprüche zu erfüllen. Wie sollen aber Qualitäten gehalten und Ansprüche erfüllt werden, wenn das ganze politisch-mediale System von vornherein auf die Senkung von Qualität und Ansprüchen angelegt ist, wenn es ihm nur noch um Produkt und Konsum auf kleinstem gemeinsamen Nenner (Quote!) geht? Dann werden eben ehemals biedere Autoren zu korrupten Produktmanagern, offen oder geheim, und außer vielem anderen nimmt auch die Moral schweren Schaden.


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