© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Schreibtischtäter
Karl Heinzen

Wegen Verstoßes gegen Paragraph 86a des Strafgesetzbuches wurde nun ein Münchner Briefmarkenhändler durch das Amtsgericht der bayerischen Metropole verurteilt. Der Delinquent hatte im Schaufenster seines Geschäfts zwölf Originalmünzen aus der NS-Zeit, auf denen das Hakenkreuz prangte, sowie zwei Bögen Hitlermarken ausgestellt.

In ihrem Schuldspruch verzichteten die Richter wegen vermeintlicher Geringfügigkeit auf die Verhängung einer Geldbuße. Sie wiesen den Händler lediglich an, in Zukunft eventuell strafwürdige Symbole auf seinen Ausstellungsstücken abzudecken. Medienberichten zufolge zeigt der Verurteilte trotz dieser Milde keine Einsicht. Er soll vielmehr mit dem Gedanken spielen, in die Berufung zu gehen, da die inkriminierten Symbole unbeanstandet auch in Auktionskatalogen sowie auf Buchtiteln oder sogar Kinoplakaten abgebildet seien. Möglicherweise wird er hierbei von der Philatelistenlobby unterstützt, die auf diese Weise versuchen könnte, auf scheinbar unverfänglichem Terrain zugunsten der NS-Verherrlichung eine Bresche in zum Schutz unserer Verfassungsordnung erlassene Rechtsbestimmungen zu schlagen.

Derartigen Bestrebungen muß eine wehrhafte Demokratie entschlossen entgegentreten. Nicht länger hinzunehmen ist es, daß unter dem Deckmantel unschuldiger, politikferner Sammlerleidenschaft Liebhaber von Nazisymbolen unbehelligt von der Öffentlichkeit die Würde der Opfer verhöhnen, indem sie die Postwertzeichen der Täter zu ihrem Hobby machen.

Natürlich sind nicht alle Briefmarkenfreunde pauschal einer Stigmatisierung auszusetzen. Unter ihnen gibt es viele Unbescholtene, die sich als Sammelgebiet die Bundesrepublik, die DDR, ja sogar Dritte-Welt-Staaten auserkoren haben. Wer allerdings partout meint, auch Nazipostwertzeichen sein eigen nennen zu dürfen, wird sich sehr wohl kritische Fragen gefallen lassen müssen: Relativiert nicht das Unrecht, wer mit einer Hitler-Marke so umgeht, als zeigte sie Ebert oder Heuss? Waren es nicht gerade solche Marken, mit denen in einer Zeit, die noch kein Fax und keine E-Post kannte, Mordbefehle transportiert wurden?

Es rede sich niemand heraus, Philatelisten seien doch allesamt harmlose Zeitgenossen, Menschen mit einem leichten Hang zur Pedanterie, die sich mit der Lupe in der Hand an den Kleinigkeiten eines aufgeschlagenen Sammelalbums erfreuen. Gerade diese Mentalität machte schließlich die Schreibtischtäter von einst zu dem, was sie waren.


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