© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 24/05 10. Juni 2005

Weg mit der Bundesagentur für Arbeit!
Fünf Ökonomen fordern eine radikale Reform der sozialen Sicherungssysteme / Die überbürokatisierte Arbeitslosenverwaltung steht besonders in der Kritik
Beo Bachter

In die Dauerdebatte über die Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft haben die Ökonomen Friedrich Breyer, Wolfgang Franz, Stefan Homburg, Reinhold Schnabel und Eberhard Wille einen eigenwilligen Vorschlag eingebracht.

Daß ihre Ausarbeitung von der Bertelsmann-Stiftung, der Nixdorf-Stiftung und der Ludwig-Erhard-Stiftung finanziell gefördert wurde, nimmt dem Vorschlag nicht die Originalität. Originell an den unter dem Titel "Reform der sozialen Sicherung" zusammengefaßten Vorschlägen ist bereits, daß es sich um ein Gemeinschaftswerk von Professoren handelt, obschon Professoren zu kollektivem Handeln meist nicht in der Lage scheinen.

Die Überlegung, welchen Leitlinien ein System der sozialen Sicherung folgen sollte, entstammt einem Gedankenexperiment, das danach fragt, wie Personen die soziale Sicherung gestalten würden, die ihre eigene Position nicht kennen, die also nicht wissen, ob sie reich oder arm sind, gesund oder krank und die daher unparteiisch entscheiden. Wenngleich eine solche "vertragstheoretische" Sicht der Sozialpolitik gewiß keine Herleitung eines "optimalen" Systems erlaubt, so hilft sie doch, Wertungswidersprüche und Inkonsistenzen der gegenwärtigen Praxis aufzudecken sowie gleichzeitig die Leitlinien einer Reform zu skizzieren. Dazu gehören Souveränität und Eigenverantwortung, Subsidiarität staatlichen Handelns, Verteilungsgerechtigkeit sowie Effektivität, Nachhaltigkeit, Rechts- und Planungssicherheit und Transparenz. An dieser Stelle bewegen sich die Autoren noch in jener politischen Korrektheit, die den Rahmen für die Erneuerung der "sozialen Marktwirtschaft" bildet.

Radikaler werden sie, wo sie die Gesamtvision des zukünftigen deutschen Sozialstaates vorlegen. Hinsichtlich der Sozialhilfe wird eine dezentrale Lösung favorisiert, wonach die Gemeinden sowohl für erwerbsfähige als auch erwerbsunfähige Bedürftige zuständig sind. Die Leistungen werden weitestgehend pauschaliert und alle Hilfeempfänger werden in die Kranken- und Pflegeversicherung einbezogen. Die Unterstützung für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger wird halbiert, und gleichzeitig bleibt ihr eigenes Arbeitseinkommen im Prinzip zunächst anrechnungsfrei. Entsprechend dieser starken Anreizwirkung zur Aufnahme von Erwerbstätigkeit sollen die Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit entfallen. Gleichzeitig sollen die Bruttolöhne der Beschäftigten gesetzlich um 3,25 Prozent angehoben und auch die Arbeitgeber-Beiträge zu den anderen Sozialversicherungsträgern mit Inkrafttreten der Reform an die Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Dies ist gewiß der radikalste Schritt, der indessen den Ineffizienzen der Arbeitsverwaltung - die auch fortdauern, nachdem sie sich Bundesagentur für Arbeit nennt - angemessen Rechnung trägt. Der Wegfall der Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit führt auch auf der Leistungsseite zu dem schrittweisen Wegfall von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe sowie den übrigen Lohnersatzleistungen der staatlichen Arbeitsvermittlung sowie der sogenannten aktiven Arbeitsmarktpolitik. Damit wird die Geschäftsgrundlage der Bundesagentur für Arbeit nicht nur in Frage gestellt, sondern negiert.

An dieser Stelle kann nicht im einzelnen der komplexe Vorschlag zur Alterssicherung dargelegt werden. Ein Umlageverfahren mit fixiertem Beitragssatz, in dem die gesamte Wohnbevölkerung pflichtversichert ist, soll das gegenwärtige System ersetzen.

Es gelingt den Autoren, einen wichtigen Impuls zur laufenden Debatte über die Reform der sozialen Sicherungssysteme zu leisten. Dabei wird sicherlich übersehen, daß es nicht so sehr darauf ankommt, einen Konsens bei der Beseitigung jener Anreize für ökonomisches Fehlverhalten zu organisieren, welche massenweise in allen Sozialsystemen, insbesondere im Bereich der Arbeitslosenversicherung, noch vorherrschen.

Kernstück der Reformvorstellungen ist die Abschaffung der Bundesagentur für Arbeit. Diese Behörde ist nicht nur ein bürokratischer Leviathan, sondern ein Produzent von Arbeitslosigkeit und gleichzeitig der monopolistische Deuter des statistischen Phänomens. Insofern ist der Beitrag der Professoren zur Reform der sozialen Sicherung ein wichtiger Bruch mit dem bundesdeutschen Tabu, die Bundesanstalt für Arbeit als solche unangetastet zu lassen. 

Friedrich Breyer, Wolfgang Franz, Stefan Homburg, Reinhold Schnabel, Eberhard Wille: Reform der sozialen Sicherung. Springer Verlag, Heidelberg 2004, 169 Seiten, gebunden, Abbildungen, 29,95 Euro


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen