© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Das Kandidaten-Karussell kommt in Schwung
Vorgezogene Bundestagswahlen: Spekulationen bei CDU, CSU und FDP über Ministerposten / Dünne Personaldecke / Stoiber als Superminister im Gespräch
Paul Rosen

Noch steht der Termin für die Bundestagswahl nicht fest, und noch ist nicht sicher, ob Union und FDP eine Regierung werden bilden können. Aber die Spekulationen, wer in einem Kabinett der ersten Kanzlerin Angela Merkel etwas werden könnte, stehen in höchster Blüte. Im Zentrum aller Überlegungen steht die Frage, ob Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber im Falle eines Wahlsieges nach Berlin geht oder nicht. Aber unabhängig davon, ob der Bayer kommt, wird in den Spekulationen ein wichtiges Detail erkennbar: Die bürgerlichen Parteien verfügen nur über eine dünne Personaldecke zur Besetzung wichtiger Ministerien.

Wenn Merkel ins Kanzleramt einzieht, dürfte sie von Volker Kauder begleitet werden. Der Generalsekretär der CDU hat seinen Job im Berliner Adenauer-Haus seit Übernahme der Geschäfte von dem über die Gehälter-Affäre gestolperten Laurenz Meyer bisher gut gemacht. Er gilt als absolut loyal, und Kauder werden daher die besten Chancen eingeräumt, Kanzleramtschef zu werden. Auf den Posten im Adenauer-Haus dürfte der niedersächsische CDU-Politiker und heutige Fraktionschef David Mc Allister nachrücken.

Bei allen anderen Positionen werden die Spekulationen schon schwieriger. Alles hängt vom Abschneiden der Parteien bei der Wahl ab. Wahrscheinlich dürfte es eine Drei-Parteien-Koalition werden: CDU, CSU und FDP. Wenn die CSU, die bei der Bundestagswahl 2002 neun Prozent der Stimmen gewann, wieder stärker werden sollte als die FDP (7,4 Prozent), dürfte sie Anspruch auf das Außenministerium erheben und dafür Stoiber nominieren. Der CSU-Chef hält sich bisher aber alle Optionen offen. Er fürchtet verfrühte Nachfolgediskussionen und Diadochenkämpfe im Freistaat. Um Stoibers Nachfolge in der Münchner Staatskanzlei dürften sich der derzeitige Bundesminister und Chef der Staatskanzlei Erwin Huber sowie Innenminister Günther Beckstein bewerben. Auch dem Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Joachim Herrmann, werden Chancen eingeräumt, Ministerpräsident zu werden.

Merz scheint aus dem Rennen

Beckstein soll jedoch auch hinter Stoiber als Nummer zwei auf der Landesliste der CSU für die Bundestagswahl kandidieren und als Innenminister in der Berliner Regierung ins Spiel gebracht werden. Das zeigt die ganze Personalnot der CSU: Denn in der Berliner Landesgruppe der Bayern gilt nur deren Chef Michael Glos als ministrabel, allenfalls noch Dagmar Wöhrl, der jedoch nur Außenseiterchancen auf einen Posten im Kabinett als Familienministerin eingeräumt werden. Glos ist als Verteidigungsminister im Gespräch.

Es gibt aber auch Hinweise aus der CSU, daß die Partei einen Bogen um das als besonders schwierig geltende Verteidigungsressort machen und lieber nach dem Bau- und Verkehrsressort greifen will. Das Verkehrsministerium verfügt über den größten Investitionshaushalt aller Ministerien. Da ließen sich sicherlich einige Mittel nach Bayern umleiten, so ist aus der CSU zu hören.

Das Problem der CDU wiederum besteht darin, daß sie bestenfalls Staatssekretäre für das Verteidigungsministerium aufzubieten hätte, zum Beispiel den stellvertretenden Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Thomas Kossendey. Der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm, ein früherer Bundeswehr-General, gilt mit 67 Jahren als zu alt für ein Ministeramt.

Neben Kauder gelten drei weitere Personalvorschläge in einem Kabinett Merkel als sicher. Dazu gehört die heutige niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen. Die Tochter des früheren Ministerpräsidenten Ernst Albrecht hat sich weit über Niedersachsen hinaus einen Namen gemacht und gilt als eines der wenigen großen Talente in der Landesregierung. Sie dürfte in Berlin Familien-, Sozial- und/oder Gesundheitsministerin werden.

Die baden-württembergische Kulturministerien Annette Schavan hat bereits ihre Kandidatur für den Bundestag angekündigt und könnte Bildungsministerin werden. Als sicher gilt auch, daß der saarländische Ministerpräsident Peter Müller nach Berlin geht. Er ist als "Allzweckwaffe" überall einsetzbar, etwa als Arbeitsminister.

Falls Stoiber nicht das Außenministerium übernimmt, ist der CSU-Chef als Superminister für Finanzen und Wirtschaft im Gespräch. Dort würde Merkel ihn gerne sehen, ließe sich doch dann ein Teil der drastischen Haushaltskürzungen, Steuererhöhungen und Sozialeinschnitte auf das Konto der CSU schreiben. Für das Finanzressort wurde von mehreren CDU-Politikern auch der frühere Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz ins Gespräch gebracht. Doch Merz ist bei Merkel in Ungnade gefallen und dürfte keine Chance haben, ins Kabinett zu kommen. Dies gilt genauso für den CSU-Sozialexperten Horst Seehofer, der es sich seit seinem Feldzug gegen die Kopfpauschale mit Merkel und Stoiber verdorben hat.

Weitere Namen, mit denen spekuliert wird, lauten Michael Meister für den Bereich Finanzen, wenn Stoiber nicht kommt oder Außenminister wird, und Wolfgang Bosbach (Innen). Bosbach könnte aber ebensogut neuer Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU werden, da auch dieser Posten nach Merkels Beförderung ins Kanzleramt neu zu besetzen wäre. Genannt für den Fraktionsvorsitz wird auch der Parlamentarische Geschäftsführer Norbert Röttgen.

Zwar gibt es Umfragen, die die Möglichkeiten einer absoluten Mehrheit für die Union aufzeigen, doch dürfte schon allein das Auftreten des neuen Linksbündnisses diese Träume platzen lassen. Bei einer Koalition von CDU/CSU und FDP dürfte der Fraktionsvorsitzende Wolfgang Gerhardt in die Bundesregierung streben. Gerhardt ist als Außenminister vorstellbar, könnte aber auch jedes andere Ressort übernehmen. Von Hause aus ist er Bildungspolitiker. Von FDP-Chef Guido Westerwelle gibt es unterschiedliche Signale. Es kann durchaus sein, daß er nach dem Vorbild von Wolfgang Mischnick die Fraktionsführung der FDP übernimmt und den starken Mann im Hintergrund spielt. Westerwelle ist aber genauso gut im Innen- oder Justizressort vorstellbar.

Für alle bürgerlichen Parteien gilt: Sie haben an der Spitze bekannte Köpfe. Aber spätestens in der zweiten Reihe wird das Angebot sehr dünn.

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