© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

BRIEF AUS BRÜSSEL
Ein Kerneuropa der Nettozahler
Andreas Mölzer

Es mag eine Verzweiflungstat gewesen sein, die der neue französische Regierungschef Dominique de Villepin da gesetzt hat, als er von einem Bündnis zwischen Paris und Berlin geredet hat. Doch angesichts der Absage an die EU-Verfassung bei den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden war guter Rat teuer. Lange Jahre war die deutsch-französische Zusammenarbeit der eigentliche Motor der Integration: Frankreich liefert die Grandeur für das europäische Projekt und Deutschland die Finanzmittel. Eine Kooperation, die so lange funktionierte, wie die Bundesrepublik bereit war, den Löwenanteil der EU-Kosten zu tragen und den Quasi-Hegemonialanspruch Frankreichs zu erdulden.

Gerhard Schröder mag zahlen wollen - ob die Bundesdeutschen noch zahlen können, ist eine ganz andere Frage. Was die französischen Attitüden im Hinblick auf ihre europäische Führungsrolle betrifft, dürfte die deutsche Geduld auch begrenzt sein. So gesehen könnte der deutsch-französischen Union quasi die Geschäftsgrundlage fehlen.

Die überzogene und allzu rasante EU-Erweiterung stößt zunehmend auf Skepsis. Die flächendeckende Ablehnung der auf einen zentralistischen Bundesstaat ausgerichteten Verfassung ist schlicht und einfach nicht zu leugnen. Allein diese Tatsachen dürften mit einigermaßen großer Eigendynamik das Projekt "Kerneuropa" wiederbeleben. Wenn die Erweiterung und gleichzeitige Vertiefung der EU-Zusammenarbeit nicht miteinander vereinbar sind, wäre es nur natürlich, wenn sich so etwas wie ein Europa der zwei Geschwindigkeiten mit einem stärker integrierten Kern rund um Deutschland und Frankreich herausbildete.

Bereits heute gibt es ja Mitglieder, die den Euro haben, und andere, die auf ihren nationalen Währungen bestanden. Es gibt EU-Staaten, die das Schengen-System akzeptiert haben, und solche, die es noch nicht geschafft haben. Warum also sollte sich daher nicht so etwas wie ein Kerneuropa herausbilden, bei dem in erster Linie die Nettozahler mit dabei sind? In diesem Kerneuropa hätten sie entsprechend ihrem Gewicht, ihrer Größe und ihrer Leistungsbereitschaft das Sagen. Das eher locker integrierte Europa der zweiten Geschwindigkeit - jenes der Nettonehmer - hätte naturgemäß dann weniger zu bestimmen. Das wäre die logische Konsequenz einer solchen Entwicklung.

Tatsache ist allerdings, daß man in den EU-Staatskanzleien derlei Pläne immer als bloße Gedankenspielereien abtat und statt dessen die gleichmäßige Integration aller Mitgliedsstaaten propagierte. Allerdings ist nicht mehr zu übersehen, daß mit dem in der geplanten EU-Verfassung vorgesehenen geteilten Stimmrecht, in dem auch die Bevölkerungszahl eine Rolle spielt, und im weitgehenden Wegfall des Vetorechts einzelner EU-Staaten ohnedies bereits so etwas wie eine qualitative Gewichtung der Mitbestimmung im gemeinsamen Europa gegeben wäre. Warum eigentlich nicht gleich eine Gewichtung dieser Mitbestimmung gemäß den Verpflichtungen und Belastungen, die die Mitgliedsländer auf sich nehmen?

Die Aufnahme von Rumänien und Bulgarien sowie die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei könnten ein Kerneuropa nach sich ziehen. Vorstöße wie jener von Villepin machen dies deutlich und heben die Diskussion auf die Ebene der nationalen Regierungen.

 

Andreas Mölzer, Publizist, ist FPÖ-Mitglied und seit 2004 EU- Abgeordneter.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen