© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Die Kunst als Küchenfee
Geist und Macht: Angela Merkel will die kulturelle Grundversorgung als Daseinsvorsorge sichern
Thorsten Hinz

Zu den klügeren Entscheidungen Gerhard Schröders, die man ihm über seine Kanzlerschaft hinaus zugute halten wird, gehört die Berufung eines für Kultur zuständigen Staatsministers im Bundeskanzleramt. Wer hätte sich sonst erfolgreich um den Erhalt der Buchpreisbindung und der Künstlersozialkasse - um nur die zwei prominentesten Beispiele zu nennen - kümmern können? Ein sachfremder Innenminister? Der unter dem Titel "Kultusministerkonferenz" mehr berüchtigte als berühmte Hühnerhaufen?

Mit Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin und zuletzt Christina Weiss hat Schröder unabhängige, parteiferne Personen in das Amt berufen. Gleichzeitig wurde ein Adressat für internationale Verhandlungspartner installiert. Auch auf dieser Ebene gibt es mehr als genug zu tun. Nicht nur die Unterfinanzierung der Goethe-Institute bereitet Sorgen. Die Rückführung der nach Rußland verschleppten Beutekunst ist noch nicht einen Millimeter vorangekommen, trotz der "Männerfreundschaft" zwischen Schröder und Putin.

"Die alte Hoffnung der Künstler, im Schutz der Macht ein wenig zu glänzen, ist nicht völlig verschwunden", schrieb Michael Naumann über seine Erfahrungen. Sie wurde von Schröder um so lieber erfüllt, weil die tonangebenden Intellektuellen sich mit dem "rot-grünen Projekt" mehr oder weniger identifizierten. Und sie revanchierten sich. Der gemeinsame Fernsehaufritt von Günter Grass und Schröder bei Alfred Biolek im Bundestagswahlkampf 2002 leitete den Stimmungsumschwung zugunsten des Kanzlers ein.

Inhaltlich verlief die Symbiose für beide Seiten eher enttäuschend. Das intellektuelle juste milieu mußte zusehen, wie die Regierung schon an handwerklichen Defiziten scheiterte. Selber war es nicht in der Lage, zu Fragen der Globalisierung, der Zukunft Europas, der gründlich veränderten Arbeitswelt usw. irgendeinen praktikablen Rat beizusteuern. Beide, Geist und Macht, gehörten innerlich der alten Bundesrepublik an und bestätigten sich gegenseitig in ihrer Ratlosigkeit.

Das sogenannte bürgerliche Lager hat deswegen keineswegs an Profil gewonnen. Mit Christoph Stölzl, dem früheren Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, verfügt die Union zwar über einen Mann mit enormen konzeptionellen Fähigkeiten, doch hinter und neben ihm herrscht gähnende Leere. Als Kulturstaatsministerin Weiss nach dem Brand der Anna-Amalia-Bibliothek nach Weimar eilte, um der Klassikerstiftung neben der moralischen Unterstützung auch eine kleine Anschubfinanzierung zu überbringen, ließ Friedrich Merz, der verhinderte Ritter der "deutsche Leitkultur", im Bundestag ein wüstes Gezeter los, was der Staat sich da schon wieder einzumischen habe.

Merz' Banausentum ist ein schlagendes Indiz dafür, wie gründlich die Union (und die FDP) die kultur- und bildungsbürgerlichen Wurzeln gekappt haben. Man hat den Eindruck, das "bürgerliche Lager" wolle unbedingt vermeiden, als (kultur-)konservativ oder elitär zu gelten, und biedere sich deswegen dem vermuteten Massengeschmack an. Doch der als höchste Instanz angerufene Otto Normalverbraucher verachtet solche falsche Kumpanei für gewöhnlich. Selbst Leute, die noch nie ihren Fuß ins Theater oder in die Oper gesetzt haben, sind meistens stolz darauf, wenn diese reüssieren, weil sie wissen, daß sie Ehre für ihre Stadt, ihre Region und ihr Land einlegen und es sich um unverzichtbare Bezugspunkte für den Gemein- und Bürgersinn handelt.

Immerhin hat Angela Merkel sich veranlaßt gesehen, in der Zeitschrift des Deutschen Kulturrates einige zusammenhängende Gedanken über das "Kulturland Deutschland" darzulegen. Neben Nullsätzen wie: "Identität ist nicht alles, aber ohne Identität ist alles nichts", findet sich dort die Feststellung, daß die "Nachfrage nach Kunst und Kultur wächst", woraus die Kanzlerkandidatin schlußfolgert, nötig sei die "produktive Ausgestaltung einer (...) Ordnungspolitik von Kunst und Kultur". Das soll hoffentlich nicht heißen, daß Frau Merkel Kunst und Kultur primär als fiskalische und konsumtive Größen begreift. Aber was heißt es dann?

Lesen wir weiter im Merkel-Papier: "Der föderale Bundesstaat bleibt als Kulturstaat Hüter und Pfleger deutscher Kultur. Sein Auftrag bleibt die kulturelle Grundversorgung als Daseinsvorsorge." Klar, eine CDU-Vorsitzende, die auf die Zustimmung ihrer Ministerpräsidenten angewiesen ist, muß mit dem Kotau vor dem "föderalen Bundesstaat" beginnen. Die "Kulturhoheit" ist schließlich das einzige, mit dem die Duodezfürsten ein wenig Glanz verbreiten können.

Aber sind die Länder wirklich noch in der Lage, als Hüter und Pfleger zu wirken? Das trifft nur auf die hinreichend großen und wohlhabenden Länder Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, eventuell noch auf Hessen zu, doch schon in Schleswig-Holstein sieht das ganz anders aus. Dort hat die neue CDU-geführte Landesregierung die Wissenschaft zum Anhängsel von Wirtschaft und Verkehr degradiert und die Kultur (Museen, Theater, Bibliotheken, Musik-, Film- und Medienförderung usw.) als "Abteilung 3" in die Staatskanzlei eingegliedert bzw. zurückgestuft. In Berlin und den Neuen Ländern ist für eine wirkliche "Kulturhoheit" überhaupt keine materielle Basis vorhanden. Also, ein bißchen genauer sollten CDU/CSU und FDP sich zum "Kulturland Deutschland" schon erklären.

Und was heißt schließlich kulturelle "Grundversorgung zur Daseinsvorsorge"? Merkel meint das offenbar rein funktional. Kunst und Kultur sollen ihrer Meinung nach die "geistigen Fähigkeiten und Einstellungen für (...) Reformbereitschaft unterstützen". Sie fungieren als fleißige Küchenfee, welche die Scherben zusammenkehrt, die der neoliberale Elefant im Porzellanladen des Sozialstaats hinterläßt.

Oder bedeutet Kultur für sie und die Union in Wahrheit doch mehr? Vielleicht etwas, das nicht in den Kategorien von Angebot und Nachfrage erfaßt werden kann? Vielleicht eine Gesamtheit der geistigen, sozialen und materiellen Lebensäußerungen, einen Prozeß und Zustand sittlicher Reflexion, vielleicht eine Werteentscheidung über das, was dem Gemeinwesen wichtig ist, oder eine kleine, aber entscheidende, weil gemeinschaftsstiftende Differenz? Etwas vielleicht, in dem wir wurzeln, eine nicht verhandelbare humane Substanz, die die Ökonomie übersteigt, der jene zu dienen hat?

Dann dürfte Merkel die Kultur aber nicht länger auf den Katalysator für ökonomisch notwendige Flexibilisierungen reduzieren. Damit erhebt sich die Frage nach den gesellschaftspolitischen Leitbildern der Union, nach ihren geistigen Grundlagen und den klugen Köpfen, die über sie nachdenken. Doch hat die Union überhaupt welche?

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