© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

CD: Klassik
Ergreifend
Andreas Strtittmatter

Als Oskar Hagen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Georg Friedrich Händels 1725 uraufgeführte Oper "Rodelinda" bearbeitete und 1920 als quasi expressionistisches Manifest gegen das nachwagnerianische Musiktheater in Göttingen auf die Bühne brachte, ahnte noch niemand, daß der Kunsthistoriker damit eine Renaissance des Händelschen Opernschaffens auslösen würde. Im Fall von "Rodelinda" führte diese Renaissance 1938 sogar zu einer ersten "Gesamtaufnahme" (ihr lag Hagens stark kürzende Fassung zugrunde) durch den Reichssender Stuttgart, dem Berlin vor allem in den dreißiger Jahren die Pflege der Rundfunkoper überantwortet hatte.

Obschon das Werk seither für eine Barockoper vergleichsweise häufig im Tonstudio produziert worden ist und immerhin Joan Sutherland eine Lanze für die Titelpartie gebrochen hat, findet "Rodelinda" nur zögerlich auch szenisch einen festen Platz im Repertoire. Das verwundert um so mehr, wenn man die Ohren in die Musik hält. Eine neue Einspielung mit einem ausgezeichneten Vokalensemble und dem Orchester Il Complesso Barocco unter Alan Curtis unterstreicht dieses Urteil.

An der Handlung mag es nicht liegen. Erzählt wird von Thronraub, Eifersucht, Intrigen und Liebe und somit von Dingen, die in Opern durchaus an der Tagesordnung sind. Doch die Geschichte der langobardischen Königsgattin endet nicht tragisch, sondern mit dem Sieg ehelicher Treue über machtpolitisches Ansinnen. Die Figuren, Rodelinda (Simone Kermes) voran, deren Gemahl Bertarido (Marijana Mijanovic) und der Ursupator Grimoaldo (Steve Davislim), sind historische Figuren, erwähnt in den mittelalterlichen "Gesta Langobardorum" des Paulus Diaconus. Pierre Corneille ließ sich davon zu einer mittelmäßigen Tragödie ("Pertharite") inspirieren, und es kommt selten vor, daß ein Operntextbuch besser ist als die eigentliche Vorlage - aber in diesem Fall merzte Antonio Salvi die Fehlgriffe Corneilles aus und rückte Rodelinda in den Mittelpunkt des Geschehens. Den letzten Schliff besorgte Händels Librettist Nicola Haym.

Im Rahmen der durchdachten textlichen Anlage von Rezitativen und Arien (und sonst nur einem Duett und einem chorischen Quintett) stürzt Händels Musik die Protagonisten und Hörer in ein Wechselbad der Gefühle. In seiner Einspielung treibt Curtis die Emotionen gleichfalls gerne auf den Siedepunkt, denn bei aller Verpflichtung einer historischen Aufführungspraxis gegenüber gehört er nicht zu jenen Puristen, die im dürren Bogenstrich und in trockener Akustik das Heil der Authentizität suchen.

Il Complesso Barocco kultiviert einen farbenreichen und warmen, aber keineswegs mulmigen Klang. Auch die Vokalbesetzung ist in dieser Aufnahme gut und klug gewählt. Gut, da jeder der Beteiligten seinen Part und die damit verbundenen Anforderungen koloraturgepickter Gesangspassagen bis hin zu den Auszierungen (in den Wiederholungsteilen der Arien) souverän beherrscht. Und klug, weil die Stimmen auch vom Timbre her je starke, eigene Akzente setzen und so zusätzlich für Wechsel und Wandel sorgen.

Den etwas spitzen Sopran von Simone Kermes wird man vielleicht nicht sofort lieben, aber wer sich etwa auf ihre wunderbare Interpretation von Rodelindas erstem Lamento "Ombre, piante, urne funeste" einläßt, hört eine Sängerin, die sich in der "Grammatik des Belcanto" sicher bewegt. Die Triller, das streng kontrolliertes Vibrato, die Schärfung des dynamischer Expression, die wunderbar verschattete Kadenz - dies alles gerät zu Klanggesten und zu musikalischen Gebärden des Schmerzes, in denen technische Kunstfertigkeit zum ergreifenden und anrührenden Ausdruckswert transzendiert.

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