© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Das gute Recht der Nation
Frieden, Völkerrecht und Selbstbehauptung: Günter Maschkes Edition der Schriften Carl Schmitts weist umfassend in dessen Denken ein
Dag Krienen

Bereits 1995 hatte Günter Maschke eine Reihe von Arbeiten Carl Schmitts (1888-1985) zu "Staat, Großraum, Nomos" (ebenfalls bei Duncker & Humblot) ediert. Nun liegt ein neuer von ihm bearbeiteter Sammelband mit den zentralen völkerrechtlichen Schriften Schmitts aus den Jahren von 1924 bis 1978 vor. Zusammen gestatten diese Bände, die Konturen und Dimensionen von "C. S." als völkerrechtlichem und weltpolitischem Denker umfassend zu rekonstruieren.

Der Wert von Maschkes Arbeitsleistung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zwar handelt es sich bei beiden Bänden nicht um im Wortsinne textkritische Editionen, in denen etwa unterschiedliche Textvarianten minutiös verzeichnet würden. Aber er hat 2005 wie 1995 alle aufgenommenen Originaltexte Schmitts mit umfangreichen Anhängen versehen, in denen neben allgemeinen editorischen Bemerkungen zur politischen und wissenschaftlichen Verortung der jeweiligen Arbeit zahlreiche Fußnoten umfassende Erläuterungen zu einzelnen Ereignissen, in Bezug genommenen Autoren sowie politischen und juristischen Sachverhalten liefern.

Maschke geht durchaus kritisch mit seinem Autor um, korrigiert nicht nur dessen häufig vorkommende Zitier- und "Schlampigkeits"-Fehler, sondern kritisiert auch einzelne Sachdarstellungen Schmitts. Seine Hauptleistung liegt allerdings darin, daß er in jedem einzelnen Fall umfassend den juristischen, politischen und "diskursiven" Kontext nachgezeichnet hat, auf den sich C. S. jeweils bezog. Auch ein gegenüber Maschkes politischer Haltung skeptisch eingestellter Rezensent wie der Rechtshistoriker Michael Stolleis hat deshalb in der Frankfurter Rundschau vom 30. Mai 2005 eingeräumt, daß er hier "Großes geleistet" hat: "Er führt in die Gedankenwelt Schmitts wirklich ein". Bei aller denkbaren Kritik an den manchmal zu umfangreichen (mehr als die Hälfte des Gesamttextes ausmachenden) und oft allzu abschweifenden Kommentierungen setzt die Edition Maßstäbe nicht nur für die Schmitt-Forschung, sondern für jeden, der an der Entwicklung des weltpolitischen Systems seit 1914 interessiert ist.

Besetzung des Rheinlandes hat Schmitts Denken geprägt

Maschke will zudem den "politischen" Denker Carl Schmitt wieder als solchen zum Vorschein zu bringen, der in den letzten Jahren in einer Fülle von kulturalistischen Interpretationen (C. S. als politischer Theologe, als Kulturkritiker, als Geschichtsphilosoph etc.) unterzugehen drohte. Er vertritt dabei die These, daß vor allem die alliierte Rheinland-Besetzung nach dem Ersten Weltkrieg, "sich im Ruhreinbruch 1923 fortsetzend und brutalisierend, das Schmitts Denken prägende Ur-Erlebnis war". Jedenfalls schärfte sich am Rheinlands- sowie am Völkerbundsproblem sein Nachdenken über das Wesen des Politischen. Deshalb ist es konsequent, daß auch die Urfassung seines Begriffs des Politischen von 1927 in dem Band von 2005 Aufnahme gefunden hat. Tatsächlich antwortete Schmitts Kriterium der Unterscheidung von Freund und Feind auf eine internationale Lage, in der die von ihm als völlig unerträglich eingeschätzte politische Diskriminierung Deutschlands durch den Versailler Vertrag mit Hilfe völkerrechtlicher Begriffsbildungen und des Völkerbundes als der Friede, das heißt als ein für ewige Zeiten festgeschriebener globaler Normal- und Rechtszustand abgesichert werden sollte.

Schmitts Texte aus den zwanziger und dreißiger Jahren lassen den Kern seiner politischen Haltung hervortreten - das Ethos der "nationalen Selbstbehauptung Deutschlands" gegen alle seine Feinde, und zwar im Sinne eines Kampfes um das gute Recht der Nation gegen eine Begriffsverwirrung, die ihren Angehörigen sogar das Wissen um ihren Rechtsanspruch zu nehmen versucht. Es kam ihm darauf an, "ob das deutsche Volk seinen Willen zur politischen Existenz bewahrt, oder ob es sich psychisch und moralisch zermürben läßt, so daß es damit einverstanden wäre, aus seinem eigenen Fleisch und Blut die fremden Leviathane zu sättigen".

Immer wieder versuchte Schmitt seinen Zuhörern und Lesern die hinter den völkerrechtlichen Friedens- und Freundschaftsfiktionen Deutschlands drohenden realen politischen Gefahren vor Augen zu führen. Immer wieder appellierte er an sie, sich als Deutsche nicht in die bestehenden, im Kern für eine selbstbewußte Nation abnormen Verhältnisse einzugewöhnen, sobald nur kleinere Erleichterungen und scheinbar wohlwollenden Gesten der "Weltöffentlichkeit" winken. Und immer wieder schärfte er ihnen ein, daß Konzessionen auf diesem Felde nur vermeintlich zugunsten eines höheren Rechts der Menschheit oder Europas erfolgen, in Wirklichkeit aber stets zugunsten sehr konkreter imperialer Mächte, die über die Anwendung der neuen Rechtsfiktionen nach eigenem Gusto entscheiden.

Dabei ging es nicht darum, die Konfrontation mit den Gegnern von 1918 erneut auf die Spitze zu treiben. C. S. war zweifellos extrem skeptisch gegenüber dem von den Siegern von 1918 geschaffenen Völkerbund eingestellt. Aber in einem kürzlich wiederentdeckten Vortrag von 1930 erklärte er explizit: "Ich halte es für gut, daß Deutschland (seit 1926) Mitglied dieses Völkerbundes ist", um fortzufahren: "weiß aber auch, daß damit eine wesentliche Änderung für Deutschland nicht eingetreten ist". Die wesentliche Lage bestand damals aber darin, "daß Deutschland nicht als gleichberechtigtes Mitglied im Völkerbund sitzt, sondern restlos entwaffnet, entmilitarisiert, dem Einmarsch der Franzosen offen stehend, kontrolliert und reparationspflichtig ist und daß alle diese Abnormitäten es ununterbrochen der Intervention der anderen Mächte aussetzen". Bis Ende 1933 hält er durchaus an der Option fest, daß der Völkerbund zum Kern einer neuen europäischen Völkerrechts- und Friedensordnung, ja vielleicht sogar eines europäischen Staatenbundes werden könnte - falls darin Deutschlands substantielle Gleichberechtigung als europäische Großmacht erreicht und gesichert ist.

Maschkes Edition führt erneut vor Augen, daß Schmitt kein Völkerrechtsleugner oder -zyniker war. Methodisch ging C. S. allerdings immer von dem Axiom aus, daß nicht Normen herrschen, sondern Menschen oder Gruppen über andere Menschen. Dies gilt für die innerstaatliche Rechtssatzung ebenso wie für die völkerrechtliche. Damit wird er aber nicht zum Rechtsleugner, sondern nur zum Verleugner aller Fiktionen, die eine Herrschaft normativer Systeme fingieren, wo es um die Durchsetzung von Herrschaftsinteressen geht. Das innerstaatliche Recht gewinnt seine Würde als Recht durch die Bindung an eine staatlich verbürgte konkrete Rechts- und Lebensordnung, die auch die Mächtigen bindet. Dem Völkerrecht fehlt gewissermaßen der Bürge, die unparteiisch über den Staaten stehende konkrete Instanz, die seine Geltung gegenüber den einzelnen Staaten objektiv durchzusetzen vermag. Insofern ist es immer ein politisches Recht, also ein Recht, um das die staatlich verfaßten Völker stets miteinander ringen müssen. Völkerrecht besitzt dann seine Würde als "gutes Recht", wenn es Ausdruck einer tatsächlich bestehenden konkreten, von allen Seiten als halbwegs gerecht empfundenen Ordnung zwischen den Völkern ist.

Ist das aber nicht der Fall, verbirgt sich hinter dem Anspruch auf "Primat des Völkerrechts" meist nur der Wille der jeweils privilegierten Mächte zur gegebenenfalls auch gewaltsamen Absicherung ihres Besitzstandes und ihrer Interessen. Schmitts Dekonstruktionen von Völkerbundssatzung und Völkerbundspazifismus sowie der - sich der Bestrebungen zu einer Positivierung und Institutionalisierung einer vorgeblich universalen Völkerrechts- und Friedensordnung bedienenden - modernen Formen eines indirekten Imperialismus lassen sich nicht damit abtun, daß er hier eben "politisch" argumentiert.

Für ihn ist auf völkerrechtlichem Felde keine andere Art von Argumentation möglich, weil sich hier die Staaten unmittelbar gegenüberstehen, es keinen objektiven Schiedsrichter über ihnen gibt und das Völkerrecht deshalb gar kein politisch neutrales Sachgebiet darstellen kann. Die eigenen völkerrechtlichen Ordnungsvorstellungen, die C. S. entwickelt, besitzen deshalb eine verschwommene Kontur, getreu der Devise, daß jede Großmacht stets selbst entscheidet, wie zentrale Begriffe des Völkerrechtes jeweils konkret anzuwenden sind.

War Deutschland in dieser Beziehung in den zwanziger Jahren ein Bettler, so schien es Schmitt auch 1934 noch ratsam, die Grundrechte der Staaten (auf Existenz, Selbstbestimmung und Selbstverteidigung, die er 1948/49 auch als Kernelement der Uno-Satzung wiederentdecken zu können meinte) als Kern der Völkerrechtsordnung zu identifizieren. Erst Ende der dreißiger Jahre ging er dazu über, seine berühmte Reichs- und Großraumtheorie zu entwickeln, in teilweise unverhohlener Anlehnung an bestimmte, vor allem von den USA entwickelte Formen und Mechanismen des modernen Imperialismus.

Aber auch hier ging es ihm nicht nur um die Rechtfertigung eines modernen deutschen Imperialismus. Die Maschke-Editionen lassen vielmehr deutlich erkennen, daß Schmitt die machtpolitischen Möglichkeiten Deutschlands stets eher skeptisch einschätzte, nicht nur in den zwanziger Jahren, sondern auch nach 1933. Selbst seine Schriften zum Großraum und zum Reichsbegriff im Völkerrecht besitzen insoweit ein defensives Element, als sie ein Angebot an die konkurrierenden "Reiche" zur Abgrenzung der jeweiligen Großräume enthielten (und innerhalb des deutschen Großraums ein Element der Anerkennung, nämlich des nationalen Lebensrechts aller Völker). Daß dem NS-System Anerkennung irgendeines Rechts der Anderen wesensfremd war, ist nicht C. S. vorzuwerfen.

Möglichkeiten Deutschlands stets eher skeptisch einschätzt

Allerdings sekundierte er Deutschlands zweitem Versuch, zum Weltmachtsstatus durchzubrechen, zweifellos mit aller ihm zur Verfügung stehenden geistigen Kraft, ungeachtet der Natur des herrschenden Regimes. Schmitt kämpfte nach eigenem Verständnis in den "batailles spirituelles" für die politische Selbstbehauptung gegen die Macht- und Unterordnungsansprüche der Feinde Deutschlands. Bis 1945 stellte er an diese politische Selbstbehauptung allerdings höchste Ansprüche. Er wünschte sich, daß Deutschland in irgendeiner Weise in der ersten Liga der politischen Subjekte in der Welt mitspielen sollte, um seine existentielle Selbstbestimmung unbedingt wahren zu können.

Bereits in den zwanziger Jahren ließ Schmitt erkennen, daß er das alte europäische Völkerrecht, das bis 1914 von einer homogenen Ordnung prinzipiell gleichberechtigter Staaten ausgegangen war, nicht mehr für restaurierbar hielt. Die modernen technisch-industriellen Entwicklungen und nicht nur die Verheerungen, die die Sieger von 1918 im Völkerrecht angerichtet hatten, zwangen nach seiner Auffassung zur Suche nach neuen völkerrechtlichen Formen, zur Bildung von wenigen Großräumen und Supermächten. Eine Politik des "toten Käfers", der im Schatten eines der neuen Riesengebilde seine Existenz zu fristen versucht, hielt er im Falle Deutschlands für ausgeschlossen. Ende der dreißiger Jahre sah C. S. zweifellos die Chance, daß sein Vaterland zur Weltmacht, zum "Reichskern" eines der neuen Großräume aufsteigen konnte. Doch bis dahin hatte er, wie erwähnt, bei aller Skepsis auch die Option eines erneuerten Konzerts der europäischen Großmächte mit Deutschland als gleichberechtigtem Teilhaber - vielleicht sogar in Gestalt eines reformierten Völkerbundes- nicht ganz abschreiben wollen. Erst 1939 sah er offensichtlich keine andere Möglichkeit für Deutschland mehr, als gegen die zwei europäischen Westmächte, deren Feindschaft sich wieder verhärtet hatte, den Aufstieg zur Weltmacht mit eigenem Großraum zu wagen.

1945 war dieser Versuch endgültig gescheitert. Von daher könnte man Schmitts Schriften als nurmehr historisch interessant ansehen - wenn er nicht zugleich mit der Kritik an den Formen des "geistigen Kampfes" der damaligen Feindmächte und ihrer "nützlichen Idioten" zugleich auch ein begriffliches Instrumentarium für die politische Analyse nicht nur zeitgeschichtlicher, sondern auch höchst aktueller Vorgänge geliefert hätte. Deshalb wählte Maschke für den neuen Sammelband wohl auch den einem eher kurzen, von C. S. anläßlich Hitlers Entscheidung zum Verlassen des Völkerbundes verfaßten Beitrag entlehnten Titel "Frieden oder Pazifismus?"

Nach Schmitts Auffassung hatte die Würde und Lebensfähigkeit der europäischen Völkerrechtsordnung des 19. Jahrhunderts von der Tatsache abgehangen, daß darin jeder Staat das Recht besaß, aus eigener Entscheidung und auf eigene Verantwortung zum Kriege zu schreiten (ius ad bellum). Der für diese Ordnung maßgebende Kriegsbegriff war insoweit nicht-diskriminierend, das heißt keinem Staat konnte "rechtlich" zum Vorwurf gemacht werden, daß er sich dafür entschieden hatte, seine politischen Lebensinteressen mit dem Einsatz von Gewalt zu verfolgen. In einem Kriege standen sich die Parteien als "beiderseits gerechte Feinde" gegenüber, während gleichzeitig eine echte völkerrechtliche Neutralität dritter Staaten möglich war. Ab 1918 änderte sich dies, indem zunächst die Völkerbunds-Satzung das Recht zum Kriege Einschränkungen unterwarf und dann der Kellog-Pakt von 1928 den Krieg als "Mittel der nationalen Politik" verbot. Diese Ächtung des Krieges führte aber nur dazu, daß die Großmächte ihre Gewalteinsätze gegen Staaten vorzugsweise als Polizeiaktionen oder friedenssichernde oder -schaffende Maßnahmen, als Interventionen zugunsten der internationalen oder der Menschenrechte ausgaben und ausgeben.

Die offizielle Abschaffung des Krieges als ein "Mittel der nationalen Politik" durch die Siegermächte von 1918 hat offensichtlich eine Grauzone geschaffen, in der ein substantieller Friede in vielen Teilen der Welt bis heute unauffindbar geworden ist. Vor allem aber ist nicht jede Art von Krieg "abgeschafft", sondern nur eine bestimmte Art von Krieg, die gewaltsame Selbsthilfe seitens kleinerer Nationen, völkerrechtlich verboten worden. Ein Verbot, das letztendlich nur durch Androhung und gegebenenfalls Durchführung von Gewaltmaßnahmen durchgesetzt werden kann, durch den "Krieg gegen den Krieg".

Was auf den ersten Blick so pazifistisch-friedliebend aussieht, endet nach Schmitts Auffassung notgedrungen im diskriminierenden Kriegsbegriff, wonach der Gegner nicht mehr der gerechte Feind, sondern der auszuschaltende Verbrecher, der Unmensch schlechthin ist. Immer wieder unterstreicht er, daß es unmöglich sei, ein automatisch funktionierendes völkerrechtliches Regelsystem zu etablieren, das eine objektive Feststellung zuläßt, wer eine kriegerische Aggression begeht oder begehen will. Stets könne und werde eine Großmacht nach eigenem Urteil darüber entscheiden, wann dieser Fall vorliegt. Sie wird also den von ihr ausgewählten Gegner als "Aggressor" konstruieren und ihre eigene Kriegführung als Exekution gegen einen Verbrecher ausgeben. Diese Art von "Pazifismus" fingiert ohne weiteres den wehrlosen oder den verzweifelt sich gegen "friedliche", beispielsweise wirtschaftliche Strangulationsmaßnahmen wehrenden Staat zur Bedrohung des Weltfriedens und zum Feind der Menschheit. Es mag die Situation Deutschlands und des entmilitarisierten Rheinlands in den zwanziger Jahren gewesen sein, die Schmitt zu diesen Erkenntnissen brachte. Doch zeigt die neueste Geschichte, daß diese Erkenntnisse zeitlos gültig zu sein scheinen.

Deutschlands abnorme Lage als normale Situation fingiert

Es geht Schmitt aber nicht in erster Linie um eine Kritik der modernen, verschleierten Formen eines weltweiten Imperialismus - in den zwanziger Jahren sah er in den in dieser Hinsicht bereits damals führenden USA sogar ein potentiellen Freund oder jedenfalls weniger bedrohlichen Feind des schwachen Deutschlands. Er kritisierte vor allem eine in der Völkerrechtswissenschaft, auch bei manchen ihrer damaligen deutschen Vertreter, zu beobachtende juristische Auffassung und Begriffsbildung, die dieser verhängnisvollen Entwicklung Vorschub leistet. Und zwar indem sie die gegebene, damals für Deutschland abnorme Lage als "normale Situation", als "der" Friede fingiert, den es nun normativ und institutionell zu verfestigen gelte. Die Fiktion, daß die friedliche Einheit der Welt bereits erreicht sei und nur noch gegen "Störer" abgesichert werden müsse, führt aber notwendig zum diskriminierenden Kriegsbegriff mit all seinen fatalen Folgen und zu einer realen Friedlosigkeit, die von keiner noch so umfangreichen völkerrechtlichen Normenproduktion beseitigt werden kann.

Ein so verstandener "Pazifismus", der den "ewigen Frieden" durchsetzen will, stellt unvermeidlich eine "staaten- und völkerzerstörende Prätention" dar, die allzu gerne von realen Aspiranten auf Weltherrschaft in ihren Dienst gestellt wird. Sie führt nur dazu, Konflikte zu verschärfen, zu verlängern und manchmal sogar zu verewigen. Frieden ist ein immer wieder politisch zu sichernder Zustand, stets möglich, aber auch stets gefährdet. Das der Politik der substantiellen Selbstbehauptung von Nationen zugrunde liegende Schmittsche Kriterium der Unterscheidung zwischen Freund und Feind erlaubt einen vernünftigen Umgang mit der Feindschaft und dem darin implizierten Risiko des Krieges. Dieser wird nicht nur hegbar, sondern auch vermeidbar - aber er kann nicht in einem radikalen Sinne ein für allemal abgeschafft werden. Der Pazifismus will jedoch ein Zustand "ewigen Friedens" schaffen, in dem jede Möglichkeit von Feindschaft vernichtet ist. Worauf das hinausläuft, hat Schmitt zum Abschluß des letzten in den Sammelband aufgenommenen Aufsatzes von 1978 beschrieben: "Das dabei zu befürchtende Endergebnis erinnert an das schon im 19. Jahrhundert erfundene Wort eines sterbenden Machthabers, der auf dem Sterbebett von seinem geistlichen Berater gefragt wird: 'Verzeihen Sie Ihren Feinden?' und der mit dem besten Gewissen antwortet: 'Ich habe keine Feinde; ich habe sie alle getötet.'" 

Günter Maschke (Hrsg.): Carl Schmitt. Frieden oder Pazifismus? Arbeiten zum Völkerrecht und zur internationalen Politik 1924-1978. Mit einem Vorwort und mit Anmerkungen versehen. Duncker&Humblot, Berlin 2005, XXX und 1.010 Seiten, gebunden, 98 Euro

Foto: Carl Schmitts Ausweis 1922 als Einwohner des besetzten Gebietes: Das Denken prägende Ur-Erlebnis

 

Dag Krienen war wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Ruhr-Universität Bochum und ist heute freier Historiker.

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