© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  25/05 17. Juni 2005

Bushs Stichwortgeber
Natan Sharanskys "politische Philosophie" mit ihrem strikten Gut-Böse-Schema hat direkten Einfluß auf die außenpolitische Konzeption des US-Präsidenten
Alexander Griesbach

Traut man den Eingeweihten, dann ist der letzte Woche zurückgetretene israelische Minister ohne Geschäftsbereich, Natan Sharansky, der einflußreichste Stichwortgeber von US-Präsident George W. Bush. Dessen 2004 erschienenes Buch "The Case for Democracy. The Power of Freedom to overcome Tyranny and Terror", das Sharansky zusammen mit Ron Dermer, der als "politischer Berater" vorgestellt wird, herausgegeben hat, wurde von Bush wiederholt Journalisten mit dem Hinweis darauf empfohlen, daß es deutlich mache, worüber er rede.

Dieser Buchtip des mächtigsten Mannes der Erde führt unweigerlich zu der Frage, was genau an dem etwa 300 Seiten starken Essay von Sharansky eigentlich so grundstürzend ist, daß Bush dessen Autor als eine Art "geistigen Lehrer" bezeichnet? Die Antwort auf diese Frage wird sich zunächst mit der schillernden Persönlichkeit Sharanskys selbst zu befassen haben. Wer also ist dieser Mann?

Sharansky heißt eigentlich Anatoli Shcharansky und wurde als sowjetischer "Dissident" bekannt. Geboren 1948 im ukrainischen Donezk, stellte der Mathematiker 1973 einen Ausreiseantrag nach Israel. Als ihm dieser verweigert wurde, so der Politologe Claus Leggewie in der Süddeutschen Zeitung, "arbeitete er als Übersetzer für Andrej Sacharow und wirkte bei den jüdischen Refuzniks um Yuri Orlov und die Helsinki Watch Group mit". Diese Betätigung führte zu der Anklage, ein US-Spion zu sein. Das Urteil: acht Jahre Zuchthaus und Gulag (1978). Nachdem sein Fall international bekannt und skandalisiert worden war, erfolgte 1986 der Austausch Sharanskys gegen einen sowjetischen Spion. Sharansky selbst wanderte nach Israel aus. Präsident Ronald Reagan, den Sharansky laut Leggewie als seinen "Befreier" bezeichnete, verlieh ihm später die Freiheitsmedaille.

Der Mythos hat dunkle Flecken bekommen

Sharansky Frau hatte sich in Israel unterdessen bereits einen Namen als eifernde, religiös motivierte Extremistin gemacht. Sharansky selbst machte auf dieser Linie weiter. Er gilt bis heute als vehementer Gegner zu vieler Konzessionen gegenüber den Palästinensern. Als Wohnungsbauminister hatte er nach den Ausführungen des israelischen Friedensaktivisten Uri Avnery "systematisch die Siedlungen auf enteignetem arabischem Land in der Westbank vergrößert" und so die Rechte der Palästinenser "mit Füßen getreten". Als Likud-"Rebell" versucht er, Ariel Sharons Abzugspläne zu unterwandern und die Auflösung der Siedlungen zu verhindern. Sharansky ist der Überzeugung, daß Frieden mit den Arabern unmöglich sei, solange sie nicht "Demokraten" würden.

Politisch profilierte er sich als Lobbyist der jüdischen Einwanderer aus der früheren Sowjetunion. Als der Stern der Labor-Partei, für die er zunächst aktiv war, sank, schloß sich Sharansky dem Likud an. Der eigene Mythos, an dem der ehemalige "Dissident" mit großer Verve arbeitet, hat in letzter Zeit allerdings deutliche Flecken bekommen. Grund ist auch ein russischer Immigrant, der ein für Sharansky unangenehmes Buch veröffentlichte. Avnerys Ausführungen zufolge deutete dieser an, daß "Sharansky niemals ein prominenter Dissident gewesen sei; seine Bedeutung sei absichtlich vom KGB aufgebauscht worden, um ihn gegen den wirklich bedeutenden Agenten im amerikanischen Gefängnis auszutauschen". Auch soll Sharanskys Rolle hinter Gittern "viel weniger heldenhaft" gewesen sein als von diesem behauptet. Sharansky fühlte sich verleumdet und gewann schließlich einen Rechtsstreit gegen den russischen Emigranten.

Sharansky, so Avnery, habe "nie ein ernsthaftes Gespräch mit einem Araber geführt". Deshalb nähmen ihn die Israelis in dieser Beziehung auch nicht ernst - um so mehr offensichtlich aber George W. Bush. So belegen ganze Passagen der Bush-Rede zur Lage der Nation vom Januar 2005, daß "wenigstens Bushs Redenschreiber 'The Case for Democracy' gelesen haben müssen. Sie seien fast wörtlich in die Ansprache, in der Bush seine "Freiheitsdoktrin" für seine zweite Amtsperiode dargelegt hat, übernommen worden. Bush habe den Autor überdies kurz nach seiner Wiederwahl im Weißen Haus empfangen, und Außenministerin Condoleezza Rice zitierte Sharansky bei ihrer Rede wider die "Außenposten der Tyrannei" vor dem Senat: "Die Welt sollte anwenden, was Natan Sharansky den 'Marktplatztest' nennt: Wenn man sich nicht mitten auf den Marktplatz stellen und ohne Angst vor Festnahme, Inhaftierung oder körperlichen Schaden seine Meinung äußern kann, dann lebt man in einer Gesellschaft der Angst und nicht in einer freien Gesellschaft. Wir dürfen nicht ruhen bis jeder, der in einer Gesellschaft der Angst lebt, die Freiheit endlich errungen hat."

Sharanskys Botschaften sind so einfach wie eingängig: Um dem Bösen in der Welt zu begegnen und der Freiheit weltweit zum Durchbruch zu verhelfen, bedarf es einer kompromißlosen moralischen Haltung und des politischen Willens, das Gute vom Bösen zu unterscheiden. Sharansky ist davon überzeugt, daß die Kraft der Freiheit die Welt verändere und die Welt sich auf die Freiheit hin orientiere. Wenn die Welt die Freiheit wolle, müsse sie nur den politischen Willen dazu aufbringen.

Freie Gesellschaften seien deutlich von solchen getrennt, in denen die Menschenrechte unterdrückt würden. Um zu prüfen, wie "frei" eine Gesellschaft sei, schlägt er den oben bereits erwähnten "Marktplatztest" vor. Könne jemand auf den Marktplatz gehen und dort ohne Angst seine Ansichten frei äußern, dann handele es sich um eine "freie Gesellschaft". Ist dem nicht so, dann handele es sich um eine "Furchtgesellschaft". Ein "guter" Mensch sei, wer gegen das Böse in der Welt zu Felde ziehe; böse sei dagegen, wer auf Beschwichtigung aus ist oder mit Terrorregimen Kompromisse schließe.

Die US-Regierung werde mit ihrer Politik der Freiheit im "Greater Middle East" erfolgreich sein, wenn sie die Politik Reagans gegenüber der Sowjetunion kopiere. Sharansky meint, "Schurkenstaaten" brächen genauso wie die ehemalige UdSSR zusammen, wenn die "freie Welt" ihnen gegenüber kompromißlos auftrete. So einfach gestrickt können Weltbilder sein. Avnery lieferte dazu den passenden Kommentar: "Allein der Gedanke, daß die Lehren dieses politischen Philosophen ein Leitstern des mächtigsten Führers der Welt und des Befehlshabers der größten Militärmaschinerie sind, die es je in der Geschichte gab, jagt einem schon pure Angst ein."

Dem kann unter der Einschränkung, daß die Bezeichnung "politischer Philosoph" hier getrost in Anführungszeichen zu setzen ist, beigepflichtet werden. Zwischen einem politischen Philosophen vom Range eines Leo Strauss, der als Inspirator der "Neocons" gilt, und einem Natan Sharansky liegen Welten. 

Natan Sharansky, Ron Dermer: The Case for Democracy. The Power of Freedom to overcome Tyranny and Terror. Public Affairs, New York 2004, 293 Seiten, 22,90 Euro

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