© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/05 24. Juni 2005

Die Praktikantin war's!
SPD: Warum die Partei einen Begriff verwendet, der "nahe am Nazi-Jargon" ist
Marcus Schmidt

Das Internet ist Fluch und Segen zugleich - diese Erfahrung konnte in den vergangenen Tagen auch die SPD machen. Schwungvoll brachte sich die Partei gegen ihren ehemaligen Vorsitzenden und jetzigen politischen Gegner Oskar Lafontaine in Stellung. Als Waffe diente die gute alte Faschismuskeule: Der von Lafontaine auf einer Demonstration verwendete Begriff "Fremdarbeiter" sei, so urteilte die SPD-Frau Cornelie Sonntag Wolgast "nahe am Nazi-Jargon". Auch der SPD-Fraktionsvize Michael Müller zeigte sich entrüstet: "Da muß jeder anständige Linke sagen: So nicht, Oskar!"

Vielleicht hätten die Genossen zunächst einmal mit Hilfe der Internetsuchmaschine Google überprüfen sollen, ob nicht in dem einen oder anderen im Internet veröffentlichten SPD-Schriftstück das "nahe am Nazi-Jargon" stehende Wort ebenfalls vorkommt. Sonntag-Wolgast und Müller wären auf ein Papier der SPD-Bundestagsfraktion aus dem April vergangenen Jahres gestoßen, das sich mit der Erweiterung der EU beschäftigt. Im Abschnitt Arbeitsmarkt heißt es: "Damals kehrten viele Griechen, Spanier und Portugiesen, die sich ihren Lebensunterhalt als Fremdarbeiter verdient hatten, in ihre Heimatländer zurück, sobald diese in der EU waren und mit einem wirtschaftlichen Aufschwung rechnen konnten." Ende vergangener Woche, als sich die SPD längst medienwirksam über ihren abtrünnigen Genossen entrüstet hatte, wurde der "Fehler" bemerkt - schwuppdiwupp wurden aus Fremdarbeitern Gastarbeiter.

Aber nicht nur die Bundestagsfraktion und die Abgeordnete Iris Gleicke, die auf ihrer Internetseite denselben "Fehler" gemacht hatte, kennen sich mit "Fremdarbeitern" aus. "Im Zeitalter der Globalisierung, der Differenzierung in der Arbeitswelt und der Konkurrenz durch billige Fremdarbeiter muß das Prinzip Solidarität überdacht und anders gehandhabt werden ...", wußte etwa Istvan Hidy, stellvertretender Vorsitzender im Ortsverein Stuttgart-Prag, noch am Dienstag im Internet zu berichten. Da hatte die Säuberungswelle die übrigen Internetseiten der Partei längst erreicht und die Abgeordnete Gleicke bereits Abbitte für diese "Panne" geleistet: "Die Benutzung dieses Begriffes auf meiner Homepage ist ein mehr als nur ärgerlicher Vorgang und erfolgte selbstverständlich ohne mein Wissen und ohne meine Billigung." Natürlich präsentierte Gleicke auch gleich einen Schuldigen: Die Praktikantin war's! Der Endredaktion sei die "unselige Begriffwahl" entgangen. Bleibt die Frage, wie Hidy, der ohne "verantwortliche Mitarbeiter" und Praktikanten auskommen muß, den von ihm verwendeten "Nazi-Jargon" erklären wird, sobald ihn jemand auf sein "Mißgeschick" hingewiesen hat.


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