© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 26/05 24. Juni 2005

Neusiedlererben hoffen auf Gerechtigkeit
Enteignungen: Am 30. Juni entscheidet der Menschenrechtsgerichtshof über die Beschwerde der "Bodenreformland-Erben"
Klaus Peter Krause

Werden nun etwa auch sie verlieren? Wissen werden wir es am 30. Juni. Dann nämlich verkündet der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg seine Entscheidung in der Beschwerde der sogenannten Bodenreformland-Erben. Die Beschwerde geführt haben fünf einstige DDR-Bürger. Gerichtet ist sie gegen die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundesregierung.

In allen fünf Fällen geht es um Agrarland. Alle fünf Beschwerdeführer haben das Land von ihren Eltern geerbt. Den Eltern war es 1945/46 während der Sowjetischen Besatzungszeit als privates Eigentum zugeteilt worden. Zuvor hatten es die damals neuen kommunistischen Herrscher jenen Landwirten und "Junkern" entrissen, die einhundert Hektar und darüber besaßen und die sie als politischen Gegner und "Klassenfeind" verfolgten, vertrieben, deportierten und umbrachten. Diese politische Verfolgung mit der Umverteilung von Agrarland vorwiegend an Flüchtlinge, Vertriebene und Zwangsumgesiedelte aus den deutschen Ostgebieten nannten sie beschönigend "Bodenreform" und die mit dem Land Beglückten Neusiedler, Umsiedler oder Neubauern, um deren kommunistische Vertreibung aus der Heimat zu verschleiern.

Allerdings durften die Empfänger ihr Bodenreformland nicht an andere übertragen, nicht verpachten, nicht verpfänden und es nicht teilen, wohl aber vererben. Und sie unterlagen dem Gebot, es zu bewirtschaften. War der Eigentümer zum Bewirtschaften nicht mehr bereit oder in der Lage, sollte es in den staatlichen Bodenfonds zurückgeführt und gegebenenfalls anderen zugeteilt werden. Doch sind solche Rückführungen in der DDR-Realität zu einem erheblichen Teil unterblieben.

Dann, als das Ende der DDR nahte, hat die Volkskammer unter ihrem Ministerpräsidenten Hans Modrow mit Wirkung vom 16. März 1990 alle Verfügungsbeschränkungen aufgehoben. Besiegelt ist das im "Gesetz über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform" - damals wie heute kurz als "Modrow-Gesetz" bezeichnet. Es übertrug den Eigentümern nunmehr die vollen Eigentumsrechte. Eigentümer waren damals meist schon die Erben der ursprünglichen Empfänger.

Modrow-Regierung ließ Beschränkungen aufheben

Die aber waren entsetzt, als sich der gesamtdeutsche Staat, der sonst auf bedenkliche Weise DDR-Gesetze noch nach dem Untergang der DDR penibel anwendet, falls sie nicht vor Rechtsstaatswidrigkeit geradezu triefen, um das Modrow-Gesetz gar nicht scherte und ihnen das Land wieder wegnahm. Geschehen und versteckt ist dieser fiskalische motivierte Staats-Coup im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) - dort in den Paragraphen 11 bis 16 des Artikels 233 unter der Überschrift "Abwicklung der Bodenreform". Die Opfer mußten nicht nur das Land ersatzlos herausgeben, sondern auch alle etwaigen Pachteinnahmen oder Verkaufserlöse an den Fiskus der fünf neuen Bundesländer abführen.

Jedenfalls galt das für solche Erben, die nicht am 15. März 1990 oder in den zehn Jahren davor in der Land-, Forst- oder Nahrungsmittelwirtschaft tätig gewesen waren oder keiner Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) angehört hatten. Damit setzte der Bundesgesetzgeber für diese Erben, die vor dem 16. März 1990 geerbt hatten, jenes DDR-Recht eigenmächtig wieder in Kraft, wie es bis zum Modrow-Gesetz gegolten hatte. Auf diese Weise exekutierte der Rechtsstaat Deutschland nachträglich und rückwirkend nun ausgerechnet eine sozialistische Regelung, die die DDR in vielen Fällen nicht oder nicht mehr angewendet und die Modrow-Regierung bewußt außer Kraft gesetzt hatte.

Durfte der gesamtdeutsche Staat 1992 diesen Bürgern das Land wieder wegnehmen und sogar die mit ihm vereinnahmten Pachten und Verkaufserlöse einkassieren? Wegnehmen also, was ihnen die vorletzte, noch sozialistische DDR-Regierung ausdrücklich zugestanden hatte und was ihnen sogar die Vor-Eigentümer, die Verfolgungsopfer von 1945 bis 1949, zugebilligt hatten, um neues, nun anderen drohendes Unrecht zu vermeiden?

Er durfte nicht. So jedenfalls hat eine Kammer des EGMR am 16. Dezember 2003 geurteilt und die Beschwerde der Fünf für berechtigt erklärt. Die entschädigungslose Enteignung der Beschwerdeführer verletze Artikel 1 des Protokolls Nr. 1 zur Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Richter gaben der Bundesregierung in der am 22. Januar 2004 veröffentlichten Entscheidung einstimmig auf, mit den Beschwerdeführern eine Einigung zu erzielen, und behielten sich anderenfalls vor, in einer dann zweiten Entscheidung über eine Entschädigung und deren Höhe zu befinden. Daraufhin rief die Bundesregierung die Große Kammer des Gerichtshofs an. Die mündliche Verhandlung hierzu fand am 26. Januar 2005 statt (JF 6/05).

Etwa 70.000 ehemalige DDR-Bürger wurden Opfer

Mit Spannung wird erwartet, ob die Große Kammer bestätigt, was jene kleine Kammer entschieden hat, oder ob sie anders befindet. Rechtliche Begründungen, die mehr oder minder überzeugend sind, gibt es für den einen wie den anderen Fall.

Damit ist das Ergebnis offen. Schon die Entscheidung der Großen Kammer vom 30. März, das wider der meisten Erwarten gegen die Verfolgungsopfer der SBZ-Zeit von 1945 bis 1949 ausgefallen ist (JF 15/05), wird als ein politisch motiviertes Urteil zugunsten des deutschen Fiskus empfunden, obwohl sich dieser in schamlos unmoralischer Weise an Privateigentum ungerechtfertigt bereichert hat. Opfer dieser Gesetzgebung von 1992 sind mindestens 70.000 einstige DDR-Bürger mit zusammen etwa 100.000 Hektar Agrarland geworden.


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