© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Dokumentation: aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichtes
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen NRW

Die Beschwerdeführerin (Bf) ist Verlegerin und Herausgeberin der Wochenzeitung "JUNGE FREIHEIT". Ihre Verfassungsbeschwerde (Vb), mit der sie sich gegen die Aufnahme ihrer Wochenzeitung in die Verfassungsschutzberichte des Landes Nordrhein-Westfalen der Jahre 1994 und 1995 wandte, war erfolgreich. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hob die angegriffenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichts (VG) und Oberverwaltungsgerichts (OVG) auf, da sie die Beschwerdeführerin (Bf) in ihrem Grundrecht auf Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzen. Die Sache wurde an das VG zurückverwiesen. Dieses hat unter Berücksichtigung der vom Senat dargestellten verfassungsrechtlichen Anforderungen erneut zu prüfen, ob die tatsächlichen Anhaltspunkte für einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen der Bf ausreichen. Insbesondere ist erneut zu bewerten, ob der Bf die in Artikeln Dritter, die nicht der Redaktion angehören, veröffentlichten verfassungsfeindlichen Positionen zugerechnet werden können. (...)

Der Entscheidung liegen im wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

1. Die Nennung der Wochenzeitung der Bf im Verfassungsschutzbericht berührt das Grundrecht der Pressefreiheit. Durch die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht wird die Bf zwar nicht gehindert, die Zeitung weiter zu vertreiben und auch zukünftig Artikel wie die beanstandeten abzudrucken. Ihre Wirkungsmöglichkeiten werden jedoch nachteilig beeinflußt. Potentielle Leser können davon abgehalten werden, die Zeitung zu erwerben, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß etwa Inserenten, Journalisten oder Leserbriefschreiber die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht zum Anlaß nehmen, sich von der Zeitung abzuwenden oder sie zu boykottieren. Dies kommt einem Eingriff in die Pressefreiheit gleich.

2. Ein Eingriff in die Pressefreiheit bedarf der Rechtfertigung durch ein allgemeines Gesetz (Art. 5 Abs. 2 GG). Ein solches Gesetz ist § 15 Abs. 2 VSG NRW. Bei der Nutzung der Ermächtigung des § 15 Abs. 2 VSG NRW zur Veröffentlichung von Informationen im Verfassungsschutzbericht ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Um den Verdacht einer verfassungsfeindlichen Bestrebung zu bejahen oder die negative Sanktion einer Veröffentlichung im Verfassungsschutzbericht zu ergreifen, müssen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Die bloße Kritik an Verfassungswerten reicht nicht aus. Denn die Meinungs- und Pressefreiheit läßt auch eine kritische Auseinandersetzung mit Verfassungsgrundsätzen zu. (...)

3. Die Begründung der Fachgerichte, warum die zum Beleg herangezogenen Artikel Ausdruck der verfassungsfeindlichen Bestrebungen von Verlag und Redaktion und nicht nur ihrer Autoren sein sollen, genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Die Gerichte sind irrig davon ausgegangen, die JUNGE FREIHEIT könne allein deshalb nicht als "Markt der Meinungen" verstanden werden, weil sie nur für ein bestimmtes politisches Spektrum offenstehe. Von der Pressefreiheit ist auch die Entscheidung erfaßt, ein Forum nur für ein bestimmtes politisches Spektrum zu bieten, dort aber den Autoren große Freiräume zu gewähren und sich in der Folge nicht mit allen einzelnen Veröffentlichungen zu identifizieren. (...)

Ferner haben sie zu prüfen, ob die Art der Veröffentlichung den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entsprach. Obwohl die Behörde nur von Anhaltspunkten für einen Verdacht ausgegangen ist, hat sie die Bf ohne jede Differenzierung in der Gliederung oder in den Überschriften des Berichts auf die gleiche Stufe gestellt wie Gruppen, für die sie verfassungsfeindliche Bestrebungen festgestellt hat. (...)

Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -

Pressemitteilung Nr. 57/2005 vom 28. Juni 2005

Zum Beschluß vom 24. Mai 2005 - Az1 BvR 1072/01 -


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