© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Die Bagger kommen!
Mauerkreuze: Am 5. Juli um 4.01 Uhr sollen die 1.067 Mauerkreuze am Checkpoint Charlie in Berlin-Mitte abgeräumt werden
Thorsten Hinz

Wenn alles nach Plan geht, werden am 5. Juli auf der Friedrichstraße in Berlin die Bagger anrollen. In aller Frühe um 4.01 Uhr, wenn arglose Leute noch schlafen, werden sie damit beginnen, auf dem Gelände am ehemaligen Grenzübergang "Checkpoint Charlie" die 1.067 Mauerkreuze abzureißen, die Alexandra Hildebrandt, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft 13. August und Leiterin des Mauermuseums, hier vor einem Jahr installiert hatte. Jedes Kreuz steht für einen Toten des DDR-Grenzregimes.

Offiziell handelt es sich bei der Räumung um keine politische Aktion, Gott bewahre, sondern lediglich um den Vollzug eines Rechtstitels. Der Pachtvertrag, den die Eigentümerin des Geländes - eine Bankaktiengesellschaft aus Hamm - mit Hildebrandt abgeschlossen hatte, war am 31. Dezember 2004 ausgelaufen. Die Räumungsklage war im April 2005 erfolgreich. "Das wollen wir erstmal sehen, ob es jemand wagt, sich an den Gedenkkreuzen zu vergreifen", hatte Hildebrandt damals kampfeslustig vor laufender Kamera erklärt und damit die gesellschafts- und und geschichtspolitische Dimension mit ins Spiel gebracht.

Um genau diese Dimensionen geht es jetzt. Das beweist schon die Uhrzeit des Räumungbeginns. Die Kreuze sollen weg, unbedingt, andererseits weiß man um die Schändlichkeit des Vorgangs. Deshalb will man keine Zuschauer dabeihaben, Pressefotos und Filmaufnahmen sollen vermieden werden. Zunächst war die Aktion für den 4. Juli angesetzt worden, doch dann sickerte durch, daß es sich um den amerikanischen Unabhängigkeitstag handelt.

Die Besucher kommen ganz ohne staatliche Wegweisung

Der "Checkpoint Charlie" liegt im ehemaligen US-Sektor. Für manche politisch Interessierte in den USA haben Berlin und insbesondere der ehemalige Grenzübergang immer noch eine gewisse Bedeutung. Sie hätten es womöglich als Affront empfunden, wenn ausgerechnet am 4. Juli ein Denkmal für die Opfer jenes Regimes abgeräumt würde, gegen das sie an an dieser Stelle jahrzehntelang eingestanden sind.

Die Argumente der Gegner: Die nachgebaute Mauer und die Kreuze seien "nicht authentisch". Das schreiben dieselben Leute, die vor dem absolut unauthentischen Eisenman-Bau eine "Stillgestanden!"-Position einnehmen. Das Denkmal sei "peinlich" und "kitschig". Peinlich für wen? Vor allem doch wohl für den Berliner Senat, der bisher nichts Eigenes zustande gebracht hat. Und was heißt kitschig? Die Besucher kommen zahlreich und ganz ohne staatliche Wegweisung und Informationsprogramme hierher, darunter viele ausländische Touristen.

Die Bedeutung des Ortes und die Aussageabsicht der Installation teilt sich ihnen ohne Schwierigkeiten mit. Was will man mehr? - Man baue doch schon an anderer Stelle an einer Gedenkstätte! Ja, im Bezirk Wedding, wo bestimmt keiner hinfindet. Und die ganz Korrekten (allen voran: PDS, Grüne, SPD) sagen, man müsse doch die rechtsstaatlichen Regeln beachten. Dieselben Leute denken überhaupt nicht daran, gegen die Verwahrlosung des öffentlichen Raumes durch Schmierereien und andere präkriminellen Aktivitäten irgendwie vorzugehen, obwohl die Bürger das mehrheitlich wünschen. Und zur gleichen Zeit beeilt sich die PDS-Bezirksbürgermeisterin von Kreuzberg, die illegale Besetzung eines Künstlerzentrums durch alternative Lebenskünstler nachträglich zu legalisieren, indem sie ihnen Nutzungsverträge ausstellt, obwohl andere, gesetzestreue Nutzer sich mit Händen und Füßen dagegen wehren. Die Kreuzberger Bürgermeisterin kämpft übrigens um ein Direktmandat im Bundestag und möchte die linke Szene nicht verprellen.

Die Räumung ist Indikator für die geistige Verrohung

Wenn Berliner Politiker "Rechtsstaatlichkeit" sagen, kann es sein, daß sie "politische Zweckmäßigkeit" meinen. Auch stadtplanerische Gründe werden genannt. Nur sind bisher keine Verkaufs- und Bebauungspläne bekanntgeworden. Sie wären auch unsinnig, denn in Berlin gibt es selbst in besten Lagen so viel Büroleerstand, daß drei zusätzliche Bundesregierungen problemlos untergebracht werden könnten. Nach der Räumung bliebe lediglich eine Stadtbrache zurück, von denen es in Berlin übergenug gibt.

Über die Details ließe sich streiten, wenn auf seiten der Politik der prinzipielle Wille spürbar wäre, sich der Geschichte der zweiten deutschen Diktatur offensiv zu stellen. Genau dieser Wille ist nicht vorhanden. Das tiefere Problem ist das antifaschistische, vom Staat sanktionierte Volkserziehungsprogramm, das durch eine historisch saubere Würdigung der Mauer aufgesprengt würde. Es handelt sich um einen exemplarischen Konflikt, und Berlin ist der exemplarische Ort, an dem er immer wieder ausbricht. Er berührt hier unmittelbar die politischen Machtverhältnisse, denn die Rechtsnachfolger der SED sitzen sogar in der Landesregierung.

Es ist ein Bubenstück sondergleichen, das für den 5. Juli geplant ist, und zugleich ein Indikator für die geistig-moralischen Verrohung, ach was, Verschweinung, welche das rot-rot-grüne Milieu, das in der Stadt politisch und gesellschaftlich den Ton angibt, durchgesetzt hat. Repräsentativ dafür ist ein Regierender Bürgermeister, der zwar nicht weiß, wann der Zweite Weltkrieg begonnen hat, der aber in öffentlicher Rede die Deutungshoheit darüber beansprucht, was aus ihm zu lernen sei. Von diesem Begriffstutz möchte man wirklich nicht noch hören, wie er sich ein Geschichts- und Denkmalskonzept am "Checkpoint Charlie" vorstellt.

Doch leider liegt es in der Hand von Leuten seines Niveaus, darüber zu entscheiden. Die historischen Gründe für diesen Mißstand sind bekannt: Der Ostteil der Stadt befand sich jahrzehntelang im Würgegriff der SED, und der Westteil galt bei Leuten, die es zu etwas bringen wollten und die Fähigkeit dazu hatten, als Stadt ohne Zukunft, sie wanderten großenteils ab. Das ist der Punkt, an dem die Empörung über die geplante Totenbeleidigung und die Verachtung über die politische Klasse Berlins in Mitleid mit der armen Stadt umschlägt.

Die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus immerhin will am 5. Juli vor Ort gegen die Abräumung protestieren. Hoffentlich finden die politischen Schlafmützen rechtzeitig aus den Federn.

 

Foto: Bagger räumen die Holzkreuze am Checkpoint Charlie weg: Die Eigentümerin des Grundstückes, die zur Volksbank gehörende BAG-Bank, will dies am 5. Juli ab 4.01 Uhr durchsetzen - wenn sie nicht gestoppt wird

Foto: Die kämpferische Initiatorin des Mauerdenkmals, Alexandra Hildebrandt, inmitten der von ihr installierten Kreuze:

Foto: Täglich strömen Besucher zu Tausenden zu dieser privat finanzierten Gedenkstätte, die auf einem Grundstück steht, das Hildebrandts Mauermuseum gepachtet hat. Von keiner staat-lichen Stelle floß ein einziger Cent in diesen von der Öffentlichkeit als würdig wahrgenommenen Gedenkort für das mörderische Grenz-regime der DDR. Hildebrandt will jetzt Geld sammeln, um noch vor der Räumung durch die Bank den Kaufpreis von 35 Millionen Euro für das Grundstück zusammenzubekommen.

Kontakt:
Alexandra Hildebrandt
Mauermuseum Haus am Checkpoint Charlie
Friedrichstr. 43-45, 10969 Berlin-Kreuzberg
Tel.: 030 / 25 37 25-0, Fax.: 030 / 251 20 75


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