© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

Pankraz,
C. Keese und die Stunde der Pragmatiker

Hoppla, jetzt kommt die Generation der Vierziger. Überall meldet sie ihren Führungsanspruch an, so neulich auf einer von der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft ausgerichteten Tagung in Weimar über "Strategien für die Gesellschaft von morgen". Unter den wohlwollenden Blicken anwesender prominenter Platzhirsche aus älteren Generationen wie Josef Ackermann (Deutsche Bank), Heinrich von Pierer (Siemens) und Rolf Schmidt-Holtz (Bertelsmann) zog sie gewaltig vom Leder gegen die "Generation der 68er", deren Stunde nun endgültig vorbei sei.

Die 68er, so einhellig die in Weimar referierenden Vierziger, hätten ideologische Scheuklappen getragen und seien deshalb spektakulär gescheitert. Bei ihnen hingegen, den an die Macht drängenden Vierzigern, sei so etwas nicht zu befürchten. Denn sie seien durch die Bank "Pragmatiker", und deshalb könne es unter ihrer Herrschaft nur aufwärtsgehen. "Wir werfen keine Molotowcocktails, wir zerschlagen keine Pianos", rief einer der Referenten, ein "junger", vierzigjähriger Bundestagsabgeordneter. "Aber wir sind auch nicht verweichlicht", fügte ein anderer hinzu, "das sollten die 68er bedenken, wenn sie etwa vorhaben, den notwendigen Generationswechsel nicht freiwillig einzuleiten".

Pankraz hat den Eindruck, daß hier wieder mal auf dem falschen Bein hurra geschrien wurde. Wer glaubt, die Misere Deutschlands und ihre Behebung seien eine Generationenfrage, ist der Ideologie der 68er schon auf den Leim gegangen, nämlich der Ideologie jener Kräfte, für die es keine umfassenden, ein Gemeinwesen stabilisierenden und befeuernden Werte mehr geben soll, weder Gott noch Vaterland noch Familie, und die deshalb als einzigen kollektiven Seinsanker und Handlungsantrieb die "Generation" ausgerufen haben, von der angeblich alles abhängt.

Erst mit Machtantritt der 68er, und zwar nicht
zufällig, kam jene groteske Generationshuberei in Mode, der sich nun auch die "Vierziger" in Weimar angepaßt haben. Es gab von da an, was Identitätsmerkmale angeht, nur noch Generationen, außer der stilgebenden "Generation der 68er" die "Generation der 78er", die "Generation der 89er", die "Generation Golf", die "Generation Golf zwei". Und auch die Vergangenheit wurde nur noch nach Generationen sortiert: "Generation der schuldbeladenen Großväter", "Flakhelfer-Generation", "Generation der Weißen Jahrgänge".

Wenn man sich, statt als Christ, Deutscher und/oder Familienvater, nur noch als Angehöriger der Generation Sowieso deklarierte, war man eine Menge Mühe los. Man mußte sich nicht mehr nach Werten richten, die zu erfüllen Anstrengung erfordert, sondern brauchte lediglich auf sein Geburtsjahr zu verweisen.

Als Mitglied der Generation Sowieso war man von vornherein hinreichend definiert und gerechtfertigt, hatte seine gemeinsamen Jugenderlebnisse bei Rockkonzerten, seine gemeinsamen Überzeugungen und Allüren und konnte, was das An-die-Macht- und An-die-Futterkrippen-Kommen betraf, gemütlich warten, bis man an der Reihe war.

Es ist genau jener schnöde, rüpelhafte, letztlich lethargisch-faule, auf den Selbstlauf der Dinge setzende "Hoppla, jetzt komm ich"-Standpunkt der 68er, der sich in der Weimarer Tagung der "Vierziger" abspiegelte und fortsetzte. Was sie wirklich anders und besser machen wollen, sagten sie nicht. Verzicht auf Molotowcocktail-Schmeißen ist ja wahrhaftig keine Neuerung; diesen Verzicht haben bekanntlich Joschka Fischer und seine Kumpane aus der Frankfurter Putztruppe unseligen Angedenkens längst selber geleistet. Etwas genauer hätte man es schon gern.

Pragmatismus" sei angesagt, hieß es immer wieder. "Pragmatismus", so Christoph Keese, einer der Arrangeure in Weimar, "ist und bleibt der wichtigste gemeinsame Nenner der Generation 40, ihr alles bestimmendes Lebensgefühl, ihr Erfolgsrezept und ihre wichtigste gesellschaftliche Leistung." An dieser Aussage stimmt allenfalls das Lebensgefühl. Ob es ein Erfolgsrezept ist, müßte sich erst erweisen. Wer das Erfolgserlebnis einfach vorwegnimmt und das per se schon für eine "gesellschaftliche Leistung" hält, zeigt eben nur, daß er, ganz im Stil der 68er, Generationszugehörigkeit mit Leistung verwechselt.

Was heißt denn Pragmatismus für sich genommen, ohne jegliche zusätzliche Erklärung, welcher Angelegenheit man sich pragmatisch nähern will? Schon Schopenhauer höhnte: "Pragmatismus für sich genommen ist reine Flickschusterei." Er hätte auch sagen können: trostloses Vorsichhinwursteln von einer Kalamität zur anderen, ein Reparaturbetrieb auf niedrigstem Niveau, wo immer nur Löcher gestopft werden. Ist das wirklich ein lohnendes Projekt für selbstbewußte, anspruchsvolle Eliten? Ach, es taugte ja nicht einmal als Texthilfe für die Regierungserklärung einer Regierung Merkel.

Neue Regierungen, die unfähig sind, eine überzeugende Rhetorik lang-, zumindest mittelfristiger Perspektiven und Visionen zu entfalten, haben schon verloren. Mit schlechtem Utopismus oder blindem Phrasendreschen hat visionäre, gleichwohl realistische und die Herzen bewegende politische Rhetorik überhaupt nichts zu tun, im Gegenteil, sie gehört zum politischen Alltag wie Preiserhöhung und Gewinnmaximierung, macht ihn erst erträglich. Wie sagte schon Protagoras, der große Sophist und Frühpolitologe des klassischen Athens? "Es gibt keine gute Politik ohne die richtigen Wörter."

Insofern muß man sich große Sorgen machen um eine von den "Vierzigern" verantwortete neue Politik in Berlin und anderswo. Auch die "Generation 40" ist offenbar davon überzeugt, daß ihr bloßes Erscheinen die Dinge zum Besseren wenden werde, daß es einzig darauf ankommt, endlich die Macht anzutreten. So verzichtet sie auf die Ausarbeitung einer überzeugenden Rhetorik und hält das auch noch für zeitgemäßen Pragmatismus. Wie werden erst ihre Taten aussehen?


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