© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

CD: Orchestermusik
Burleskes
Andreas Strittmatter

Auch Musikstücke haben ihre Mythen - den Mythos der "Unspielbarkeit" beispielsweise. Tschaikowskys 1. Klavierkonzert, ursprünglich Nikolai Rubinstein zugedacht, wurde von diesem als armselig komponiert und unspielbar zurückgewiesen. Alle nachfolgenden Interpreten, die es dennoch spielen mögen (Rubinstein meinte mit "unspielbar" wohl eher, daß das Werk der Aufführung nicht wert sei), danken solchen Urteilen. Denn gehört es nicht zu den glanzvolleren Verdiensten, ein Werk zu meistern, dem der Mythos der Unspielbarkeit anhängt?

Tschaikowsky schickte sein Klavierkonzert - samt Widmung und ohne jede Änderung - danach übrigens an den deutschen Pianisten und Dirigenten Hans von Bülow, der sich begeistert bedankte und 1875 für die Uraufführung sorgte. Zehn Jahre später bekam Bülow ein anderes Werk dezidiert, ein etwa zwanzigminütiges Scherzo für Klavier und Orchester, komponiert von einem Schützling, den der damalige Meininger Hofkapellmeister gerade zu seinem Assistenten gemacht hatte. Richard Strauss schrieb später, daß Bülow dieses Scherzo "als unklaviermäßig und für ihn zu weitgriffig (er konnte mit seiner kleinen Hand kaum eine Oktave spannen) mit Entrüstung ablehnte". Wie Bülow mit angeblich zu kleiner Hand Tschaikowskys Klavierkonzert spielen konnte, wäre angelegentlich eine interessante Frage. Straussens "Burleske d-moll" - so der spätere Titel - hat seither gleichfalls ihren Ruf weg, unspielbar zu sein. Was den Pianisten Eugen d'Albert aber keineswegs verdroß - als neuer Widmungsträger führte er die "Burleske" 1890 erstmals auf.

Das muntere Stück gilt als der erste große Wurf des zur Entstehungszeit gerade einmal 21jährigen Musikers. Harmonik, Rhythmus, Anlage - fast aus jedem Winkel der Partitur klingt die Verehrung durch, die Richard Strauss als junger Komponist Johannes Brahms entgegenbrachte. Eine neue Aufnahme unter der Leitung von Herbert Blomstedt am Pult seines Leipziger Gewandhausorchesters und mit Jean-Yves Thibaudet als Solisten läßt daher auch nichts unversucht, um zu zeigen, wieviel Brahms damals in Strauss steckte.

Den einleitenden Passagen - das Thema geben die Pauken vor - verleiht der französische Pianist Nachdruck, ohne der akustischen Inszenierung einer vermeintlich "deutschen" Schwergewichtigkeit auf den Leim zu gehen. Die Musiker des Gewandhauses sekundieren dabei mit bläserunterfüttertem, aber keineswegs mulmigem Klang. Bald schon beginnt ein fröhliches Spiel zwischen einem Pianisten, dessen Finger leicht und neckisch durch das Passagenwerk der "Burleske" hüpfen, und einem punktgenau reagierenden Orchester. Blomstedt wird dabei seinem offiziellen Titel (der Chefdirigent des Gewandhauses trägt bis heute die schlichte Bezeichnung "Kapellmeister") im besten Sinn gerecht: Ein heiteres, hie und da lyrisch verträumtes, aber stets uneitles Musizieren abseits jeder aufgesetzten Manier ist die Folge.

Ein weiterer Pluspunkt ist das Streichersextett, das eigentlich auf die Oper "Capriccio" einstimmt, ob seiner Beliebtheit jedoch auch einen Platz im Konzertbetrieb gefunden hat. Die Gewandhausmusiker gehen das Stück ruhig und eher gemächlich an, entfalten die Strauss'schen Streicherkantilenen und lassen sie fließen. Der Kontrast beim Übergang zum mehr bewegten Binnenteil stellt sich daher fast automatisch ein, ohne daß die Interpreten dabei ihr Ideal eines schönen Klangs auf dem Altar einer dramatischen Ausdrucksstärke opfern müßten. Zuletzt birgt die CD - gleichfalls mit Liebe zum Detail dargeboten - die beiden Walzer-Folgen, die teils von Strauss selbst, teils von einem unbekannten Bearbeiter Musik aus der Oper "Der Rosenkavalier" verarbeiten.


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