© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 27/05 01. Juli 2005

US-Kritik aus eigenem Haus
Unbequemer Analytiker
Friedrich Romig

Wenn ein hoher Beamter des amerikanischen Geheimdienstes den von den USA angeführten Krieg gegen den Terror als verloren bezeichnet und jetzt auch noch Sukkurs von der Generalität erhält, sollten alle Alarmglocken läuten. Inzwischen weiß die Welt, wer sich hinter "Anonymous" verbirgt. Es ist Michael F. Scheuer, der etwa zwanzig Jahren für die Geheimdienstaktivitäten in Afghanistan und Südasien zuständig war und erst vor kurzem wegen der eindringlichen Warnungen vor dem Scheitern der US-Politik gegenüber der islamischen Welt seinen Dienst quittieren mußte.

Scheuer sieht Präsident George W. Bush und seine neokonservativen Berater in dem folgenschweren Irrtum befangen, der Terror der Islamisten richtete sich gegen die im Westen hochgehaltenen Werte wie Demokratie, Menschenrechte, Zivilgesellschaft oder sexuelle Freizügigkeit. Das sei jedoch nicht der Fall. Was die islamische Welt gegen die USA und ihre Verbündeten aufbringe, sei vielmehr der Versuch, durch Krieg, Bombenterror, militärische Besetzung, Bestechung und politischen Mord ihre Vorherrschaft auf islamische Länder auszudehnen, ihre Kultur und Lebensweise zu beeinflussen sowie sie ihrer Bodenschätze zu berauben.

Jeder Schritt, den die USA und ihre Alliierten zur "Befreiung" dieser Länder und ihrer Bevölkerung unternähmen, stärke den Zulauf zu Osama bin Laden und seinem al-Qaida-Netzwerk. Mit Osama bin Laden identifizierten sich heute praktisch die gesamte islamische Welt und ihre nichtkorrumpierten Führer. Dabei habe er nicht den Dschihad ausgerufen, sondern viele der 1,2 Milliarden Muslime davon überzeugt, daß der Islam als Religion und Lebensweise vom Westen angegriffen und gnadenlos bekämpft werde. Daher sei es gleichgültig, ob bin Laden noch lebe oder nicht, er sei zum Symbol des Widerstands geworden, welches sein heute selbstläufiges Netzwerk zusammenhält.

Der informative Wert des Buches ist wohl darin zu sehen, daß es die sehr überzeugende Argumentation von Osama bin Laden und seinen Sprechern ernst nimmt, weitgehend im Wortlaut samt genauer Quelle zitiert und ihre Wirkung ausführlich kommentiert. Dadurch wird die Strategie gut erkennbar, durch welche der Westen in diesem asymmetrischen Krieg zermürbt werden wird.

Der Autor empfiehlt den USA, sich endlich auf ihr nationales Interesse zu besinnen. An der Spitze dieser Besinnung sollte die Infragestellung der heute vorbehaltlosen politischen wie militärischen Unterstützung Israels stehen. Solange die einseitige Unterstützung Israels und des "von dort ausgehenden Staatsterrors gegen die Palästinenser und die angrenzenden arabischen Länder" anhält, gebe es kein Ende des "Kriegs gegen den Terror", sondern nur seine ständige Verschärfung und Ausdehnung. Gleichzeitig müßten sich die USA von jenem verhängnisvollen "Internationalismus" abwenden, mit dem schon Woodrow Wilson die Welt beglücken wollte. Es sei nicht Sache der USA, anderen Ländern und ihrer Bevölkerung "Freiheit" durch Zwang aufzuoktroyieren, sondern die Freiheit im eigenen Land zu verteidigen.

Der missionarische Eifer, in Ländern säkulare, demokratische Regierungssysteme einzuführen, deren Bevölkerung solche Systeme nicht wünscht, sei absurd. Und ebensowenig sei es im Interesse der USA, korrupten Herrschern und Monarchen militärisch und politisch beizuspringen, die ihr eigenes Volk unterdrücken. Selbst die Abhängigkeit von den Öleinfuhren könne eine solche Politik nicht rechtfertigen. Es wäre sehr zu wünschen, daß dieses in Amerika vieldiskutierte Buch ins Deutsche übersetzt würde. 

Anonymous: Imperial Hubris. Why the West Is Losing the War on Terror. Brassey's Inc., Washington D.C. 2004, 309 Seiten, broschiert, 27 US-Dollar


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