© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 28/05 08. Juli 2005

Für Finanzlöcher ungeeignet
Haushaltspolitik: Der Streit um höhere und niedrigere Mehrwertsteuersätze ist zu einem heißen Wahlkampfthema geworden
Bernd-Thomas Ramb

Überlegungen zu einer Erhöhung der Mehrwertsteuer drohen in den Strudel der kommenden Wahlkampfthemen zu geraten. Kaum wurden entsprechende Gedankenspiele der Unionsparteien bekannt, prasselten die wahlkampftaktischen Knüppelschläge der Kritiker auf die Köpfe der Vordenker. Die SPD und ihre neue Konkurrenz, die Linkspartei, sieht die kleinen Leute mit niedrigem Einkommen, die Familien und Rentner einer übergroßen Last ausgesetzt.

Die FDP, die generell gegen jede Form der Steuererhöhung ist, weist wie immer auf die lahmende Konjunktur hin, die durch eine höhere Mehrwertsteuer noch stärker belastet würde. Die Grünen sind sich uneins - wie die Union. Die Gastronomie, der Handel und die Handwerkskammern befürchten nicht nur eine Schwächung der Nachfrage, sondern auch eine Zunahme der Schwarzarbeit. Steuerschätzer meinen zu wissen, daß unterm Strich trotz höheren Mehrwertsteuersatzes keine höheren Mehrwertsteuereinnahmen zu verzeichnen wären, weil der Umsatz entsprechend zurückginge.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln präsentiert sogar eine wissenschaftliche Studie, nach der bei einem Anstieg des Mehrwertsteuersatzes auf 20 Prozent bis 2007 knapp eine halbe Million Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Allerdings basiert dieses Ergebnis auf der isolierten Erhöhung der Mehrwertsteuer ohne ausgleichende Senkungen andere Steuerarten.

Weitere Ursache für die düstere Prognose der Arbeitsplatzverluste ist das schockartige Ausmaß der Erhöhung um vier Prozentpunkte. Bei einem moderaten Anstieg der Mehrwertsteuer und zusätzlicher Senkung des Solidarzuschlag würden nach der Analyse der Gesellschaft für wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) in Osnabrück sogar 100.000 neue Stellen besetzt werden können. Eine einseitige Mehrwertsteuererhöhung ist demnach genausowenig volkswirtschaftlich sinnvoll, wie die polemische Verwendung dieses Themas zu Wahlkampfzwecken beträchtlichen ökonomischen Flurschaden verursachen kann.

Den Vorschlag einer Erhöhung der Mehrwertsteuer verknüpft die IW-Studie auch mit einer Senkung der Sozialversicherungsabgaben. Das Nullsummenspiel der Kölner lautet: Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent ergibt 18 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen. Die gleichzeitige Abschaffung des Solidaritätszuschlags zur Lohn- und Einkommensteuer vermindert die Steuereinnahmen um zehn Milliarden Euro. Die restlichen acht Milliarden Euro werden als Gegenfinanzierung für eine Senkung des Beitragssatzes zur Arbeitslosenversicherung um einen Prozentpunkt eingeplant. Der Staat hätte damit im Endeffekt keine Mehreinnahmen durch die Mehrwertsteuererhöhung - die Abschaffung des "Soli" und die Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge kosten ihn aber auch nichts. Gewinner sind diejenigen, die ihre Arbeitsplätze behalten oder neue erhalten.

Der Knackpunkt bei der Diskussion der Mehrwertsteuererhöhung ist die Loslösung der Argumente von der allgemeinen Misere der öffentlichen Haushalte, insbesondere wenn es um kurzsichtige Überlegungen zur kurzfristigen Deckung von Finanzlöchern geht. Eine solche Denkweise über die Legislaturperiode, ja schon über den Wahltermin hinaus, fällt den verantwortlichen Politikern sichtlich schwer - wie schon die Abbügelung der Mehrwertsteuerreformvorschläge des ehemaligen CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz im vergangenen Jahr zeigte.

Er wurde in einer vorauseilenden großen Koalition des bayerischen Finanzministers Kurt Faltlhauser (CSU) und des Bundesfinanzministers Hans Eichel (SPD) unisono abgekanzelt. Merz schlug wie das IW vor, die Mehrwertsteuererhöhung mit anderen Steuerreformen und vor allem mit der Reform der Sozialsysteme zu verknüpfen.

Die damalige Merzsche Überlegung, mit einer höheren Mehrwertsteuer die Staatszuschüsse an Einkommensschwache zu finanzieren, um damit die von CDU-Chefin Angela Merkel propagierte Kopfpauschale bei der Gesetzlichen Krankenversicherung (JF 50/04) einführen zu können, wies jedoch einen Schwachpunkt auf, den die IW-Studie vermeidet.

Die Meinung, eine höhere Mehrwertsteuer als Finanzierungssteuer für die Sozialsysteme verwenden zu können, birgt den gleichen Denkfehler wie die Einführung der Ökosteuer zur Deckung der Löcher im Rentensystem. Sie stellt Steuereinnahmen gegen Steuerausgaben mit einem indirekten Korrekturmechanismus: Steigen die Ausgaben, ist zu erwarten, daß die Steuereinnahmen durch eine entsprechende Erhöhung der Steuersätze angepaßt werden. Das ging schon bei der Ökosteuer schief.

Eine Mehrwertsteuererhöhung zur bloßen Deckung von Haushaltslücken ist nicht nur ein falsches Signal, es verwässert auch die wirtschaftspolitischen Lenkungsmöglichkeiten. Als Verbrauchssteuer beeinflußt die Höhe der Mehrwertsteuer die Ausgabenhöhe der Bürger. Eine höhere Mehrwertsteuer mindert die Höhe der Konsumausgaben, wie auch die geäußerten konjunkturellen Bedenken hervorheben. Eine Konsumsenkung kann jedoch durchaus sinnvoll sein, wenn dadurch mehr gespart würde. Schließlich bestehen erhebliche Lücken bei der Eigenvorsorge für das Alter oder andere Ausfallzeiten des Arbeitseinkommens wie Krankheit und Arbeitslosigkeit. Gelingt es, die private Vorsorge für diese Finanzierung zu stärken, kann der Staat weniger Ausgaben für Sozialleistungen einplanen.

Bleibt allerdings nach den Ausgaben für die notwendigsten Konsumgüter durch die Mehrwertsteuererhöhung weniger zum Sparen übrig, sollte der Staat eine Erhöhung des verfügbaren Einkommens anstreben. Das kann durch Senkung der Sozialbeiträge und durch die Verringerung der Lohn- und Einkommensteuer erfolgen - also genau die Richtung der Vorschläge des IW-Instituts.

Der Kompensationsansatz der Mehrwertsteuererhöhung muß also auf der gleichen Seite, bei den Steuereinnahmen, erfolgen. Verbrauchssteuereinnahmen ersetzen Lohn- und Einkommen-steuereinnahmen. Damit werden die Konsumausgaben relativ teurer, was zur Förderung der Sparleistungen wirtschaftspolitisch erwünscht sein könnte, die Gesamtproduktion muß jedoch nicht zwangsläufig darunter leiden.

Werden die Ersparnisse der Konsumenten den Unternehmen für Investitionsausgaben zur Verfügung gestellt, verlagert sich die Produktion von den Konsumgütern auf die Investitionsgüter. Insofern sind die konjunkturellen Bedenken der Gegner einer Mehrwertsteuererhöhung unbegründet.

Ein zusätzliches Argument für eine Reform ist die Möglichkeit, die Mehrwertsteuersätze stärker zu differenzieren. Derzeit existiert ein ermäßigter Steuersatz von sieben Prozent für Lebensmittel, Zeitschriften, Bücher, Kunstobjekte, Theaterkarten oder Schwimmbäder. Eine Reduktion bei Handwerksleistungen würden etwa im Baubereich Wachstumsimpulse liefern. Auch die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel wäre zu senken: Die Franzosen müssen bei Pharmaprodukten nur 2,1 statt 16 Prozent zahlen. Sollte der Steuerausfall zu hoch sein, können die Parteien mit einer höheren Steuer auf "Luxusgüter" liebäugeln - zumindest bis zum Wahltermin.


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