© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/05 15. Juli 2005

Weiter so, Deutschland
CDU/CSU-Regierungsprogramm: Angela Merkel verpaßt die Chance zu einer radikalen ordnungspolitischen Wende
Klaus Peter Krause

Nun wissen die Bürger, was sie erwartet - wenn es denn zur vorgezogenen Bundestagswahl im September kommt und wenn sie dabei den Unionsparteien zur Mehrheit verhelfen. Am Montag haben die Vorstände von CDU und CSU ihr gemeinsames Programm beschlossen und vorgestellt. Sie nennen es nicht Wahl-, sondern Regierungsprogramm, als sei schon bombensicher, daß sie maßgeblich die Regierung stellen. Ein großer Wurf ist es nicht, kein Aufbruch zu wirklich neuen Ufern. Gedreht wird an ein paar Schrauben der herkömmlichen Sozialstaats- und Steuerapparatur, teils vor, teils zurück. Auch kommt die eine oder andere Schraube hinzu, aber den Glanz einer grundlegenden, mit langem Atem angelegten und glaubwürdigen Wende versprüht das Programm trotz flotter Sprüche mit seinen Ankündigungen nicht. Insofern alles wie befürchtet, alles wie gehabt.

Wer gleich und vor allem in eine Steuererhöhung flüchtet und das Heil mit ihr sucht, hat schon verloren - nicht nur an Glaubwürdigkeit, was frühere Reden angeht, sondern auch an Willenskraft, die alten Fehler nicht zu wiederholen. Mit dem Heraufsetzen der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent des Umsatzes am Jahresbeginn 2006 entzieht sich die Union dem Druck zur ernsthaften Reform der Arbeitslosenversicherung. Statt einer Reform will sie einen Teil der steuerlichen Mehreinnahmen ausgeben, um die Beiträge für diese Versicherung herunterzusubventionieren. Auf der einen Seite nimmt sie allen Bürgern Geld ab, um es einem Teil der Bürger, den Beschäftigten und Unternehmen, wieder zuzustecken. Noch eine Umverteilung.

Flotte Sprüche statt langer Atem

Die Union feiert dies als "einen entscheidenden Schritt", die Lohnzusatzkosten zu senken, verschleiert damit aber für die Begünstigten, was die Arbeitslosenversicherung wirklich kostet. Das gilt erst recht für die weit größeren Brocken der Lohnzusatzkosten: für die Zwangsbeiträge, die die Unternehmen für die gesetzliche Alterssicherung und Krankenversicherung ihrer Mitarbeiter zahlen müssen. Kein Wort davon, daß diese Vorsorgeaufwendungen nicht Sache des Arbeitsverhältnisses sein dürfen, sondern zur Privatangelegenheit werden müssen - gewiß als Pflichtversicherung, aber mit der freien Wahl eines privaten Versicherungsunternehmens, das im Wettbewerb mit anderen steht. Dazu gehört, daß diese aus dem Einkommen zu zahlenden Pflichtaufwendungen das zu versteuernde Einkommen mindern.

Was dagegen hat die Union vor? "Wir werden die Lohnzusatzkosten dauerhaft senken und verbinden dies mit zukunftsträchtigen Strukturveränderungen in den sozialen Sicherungssystemen." Sie sagt nicht: Wir werden die Lohnzusatzkosten abschaffen. Da sie sie dauerhaft nur senken will, heißt das: Sie will hier dauerhaft subventionieren.

So wird geflickt statt reformiert. Großmundig heißt es in ihrem Programm: "Wohin wollen wir? Chancen nutzen statt 'Weiter so'". Aber flicken und subventionieren ist reinste Politik des "Weiter so". Ebenso tut die Union noch nicht einmal andeutungsweise kund, wie sie sich ihre "zukunftsträchtigen Strukturveränderungen in den sozialen Sicherungssystemen" (also die für Alter, Krankheit und Pflege) eigentlich vorstellt. Wer so verfährt, hat entweder kein Reformkonzept oder will keins haben.

Alles andere als vertrauenerweckend ist auch, daß die Ministerpräsidenten der Unionsländer scharf darauf sind, mit ihrem Anteil an der Mehrwertsteuererhöhung ihre Haushaltsdefizite zu verringern, und daher für die Erhöhung massiv eingetreten sind.

So offenkundig das ist, so absichtsvoll verschleiernd hat es sich im Programm niedergeschlagen, was später manche Interpretationsmöglichkeit zuläßt. Steuern erhöhen geht leichter, als Staatsausgaben zurückfahren. Dabei hatte Kanzlerkandidatin Angela Merkel noch eine Woche zuvor gesagt: "Wir wissen: Steuererhöhungen zum Stopfen von Haushaltslöchern schaden der Konjunktur. Das ist mit uns nicht zu machen." So schnell sind solche Äußerungen weggefegt.

Verschwommen ist, was die Union zur staatlichen Hartz-IV-Arbeitsmarktpolitik äußert. Das Versprechen, sie zu optimieren, erschöpft sich darin, die Organisationsstruktur überprüfen und für die Länder Experimentierklauseln schaffen zu wollen. Neue Kosten dürfte das angekündigte Kombi-Lohn-Modell verursachen. Die Union glaubt, daß mit ihm zusätzliche Arbeitsplätze für einfache Tätigkeiten entstehen. Dafür braucht sie die höhere Mehrwertsteuer wohl ebenfalls. Auch der angekündigte Kinderrabatt in der gesetzlichen Alterssicherung verlangt nach Finanzierung.

Verantwortungsvolle, auf Dauer angelegte und damit verläßliche Politik wäre, Staatsaufgaben und Staatsausgaben zurückzufahren, eine armselige ist, Steuern zu erhöhen, wie es nun geschehen soll. So brüstet sich die Union nur damit, vor der Wahl offen bekundet zu haben, daß die Bürger mit einer Steuerreform Netto-Entlastungen nicht erwarten dürfen, und daß sie die Mehrwertsteuer sogar heraufsetzen will. Immerhin das glaubt man ihr aufs Wort. Für Gegenfinanzierungen höher besteuern will sie auch die Beteiligungsveräußerungen von Kapitalgesellschaften. So löblich solche "Ehrlichkeit" ist, so begrenzt ist sie und so wenig genügt sie.

Was im Programm zur Einkommen- und Körperschaftsteuer steht, sieht nach wirklicher Reform ebenfalls nicht aus. Gleichwohl liest man Wunderbares wie: Ein neues, zukunftsfähiges Steuerrecht sei eines der zentralen Ziele, man werde es vereinfachen, die Menschen müßten erkennen können, daß es bei den Steuern gerecht zugehe, die Besteuerung von Unternehmen werde man grundlegend neu ordnen, das werde rechtsformneutral geschehen, und mit dem Abbau von Steuersubventionen und Ausnahmetatbeständen werde man alles gegenfinanzieren.

Dabei könnte sich die Union bei dem bedienen, was beispielsweise die "Kommission Steuergesetzbuch" mit dem Steuerrechtswissenschaftler Joachim Lang an der Spitze unter dem Dach der "Stiftung Marktwirtschaft" ausarbeitet.

Es fehlt die Hinwendung zu mehr Freiheit

Es gibt auch den einen oder anderen Lichtblick, darunter die Lockerung des Kündigungsschutzes, der freilich nicht weit genug geht und noch mit zu hohen Hürden belastet ist. Aber zu vieles verträgt sich schlecht mit dem Versprechen: "Wir bauen staatliche Aufgaben ab und stärken Eigenverantwortung statt Staatsgläubigkeit." Und der "Mut" der Union beschränkt sich auf die "Richtungsentscheidung für mehr Wachstum"; das verkünden doch auch SPD und Grüne. Überzeugend als Gegenposition bieten müßte die Union die wirkliche Hinwendung zu mehr Freiheit und Selbstbestimmung sowie das Stärken der Eigentumsrechte. Daraus erwächst Wachstum von sich aus. Was ordnungspolitisch geboten wäre, liegt in Vorschlägen von zahlreichen Ökonomen und Instituten bereit. Dort könnte sich die Union bedienen.

"Der Staat muß sich auf seine Kernaufgaben beschränken", steht im Programm. Aber wo sind sie im Programm klar benannt? "Sieben Jahre Rot-Grün haben Deutschland in eine tiefe Krise gestürzt." Stimmt. Aber um Deutschland da herauszuholen, dafür reicht dieses Programm der Union nicht. "Eine Politik des 'Weiter so' vergibt Deutschlands Chancen", steht im Programm. Wie wahr. Aber an ebensolcher Politik wirkt die Union noch zu sehr mit. So enttäuscht man Hoffnungen, die man wecken müßte, damit lohnend erscheint, um Vertrauen buhlenden Politikern zu folgen und deren anfänglichen "Grausamkeiten" für das ersehnte Ziel auf sich zu nehmen - so sie denn anfänglich bleiben.

"Ich kann, weil ich will, was ich muß." Das stammt von Immanuel Kant. Die Union aber will letztlich nicht, was sie müßte. Wollte sie, könnte sie auch: Wer es versteht, den Wählern schlechte Politik schmackhaft zu machen und ihnen diese anzudrehen, dem müßte es für gute Politik doch erst recht gelingen. Dem Anspruch, mit dem die Union auftritt, wird sie nicht gerecht. Daß es bei SPD und Grünen noch trostloser zugeht, mag ihr zugute kommen. Genügen tut es für die eigentliche Aufgabe nicht. Man könnte fast meinen, die Union fürchte und baue vor, nach der Wahl zu einer großen Koalition gezwungen zu sein. Davor möge sie das Land, bitte, bewahren.

 

Dr. Klaus Peter Krause war bis Ende 2001 verantwortlich für Wirtschaftsberichterstattung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis Ende 2003 Geschäftsführer der FAZIT-Stiftung.


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