© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/05 15. Juli 2005

Auf den Chip gekommen
Terrorabwehr II: Bundesrat stimmt Reisepaß mit biometrischen Daten zu / Gegner drohen mit "Mikrowellendusche" / Ausgabe der Ausweise ab November
Frank Liebermann

Dem neuen Reisepaß mit biometrischen Daten steht nichts mehr im Wege: Der Bundesrat ließ in der vergangenen Woche ein entsprechendes Gesetz passieren. Ab dem 1. November erhalten nun alle deutschen Staatsbürger, die einen neuen Reisepaß beantragen, einen Ausweis mit biometrischen Daten. Auf dem neuen Dokument ist ein sogenannter RFID-Chip enthalten. Das Kürzel RFID steht für Radio Frequency Identification. Auf dem Chip soll erst einmal nur ein digitales Foto gespeichert sein. Schrittweise geht es dann weiter. Ab Anfang 2007 kommen dann digitale Fingerabdrücke dazu. Geplant ist auch ein Scannen der Iris. Sobald die entsprechenden Lesegeräte flächendeckend zum Einsatz vorhanden sind, sollen auch diese Informationen in den neuen Ausweis.

Die Kosten für den neuen Paß belaufen sich den Angaben zufolge pro Stück auf 59 Euro. Damit ist er deutlich teurer als der alte chiplose Paß, der nur 26 Euro kostete. Die neue Sicherheit läßt das Innenministerium vom Kunden bezahlen. Warum auch nicht, schließlich kann der Deutsche Bürger seinen Paß ja nicht einfach woanders beziehen, mag sich der Innenminister denken, wenn er auf die noch höheren Preise in anderen Ländern verweist.

RFID ist sehr vielseitig anwendbar. Es ermöglicht die Erkennung von einzelnen Objekten auf einer Funkfrequenz. Im Moment sind vor allem die großen Einzelhandelsketten wie Metro und Walmart an der Technologie interessiert. Noch scannen an den Kassen der Supermärkte die Kassierer den bekannten Strichcode. Das soll sich bald ändern. Zukünftig sollen RFID-Chips auf den Verpackungen sein. Ein mühsames Scannen an den Kassen wäre dann nicht mehr notwendig.

Noch ist die Biometrie nicht völlig ausgereift

Der Kunde fährt mit dem Einkaufswagen vor, die Kasse spuckt sofort die Preise aus, ohne daß ein manueller Scannvorgang noch notwendig wäre. Im Moment kosten die Chips noch 15 Cent pro Stück, damit sind sie für preisgünstige Massenprodukte noch zu teuer. Das wird sich allerdings ändern, sobald die Herstellungspreise auf unter einen Cent fallen. Die Anwendungsmöglichkeiten sind vielfältig. So können Bibliotheken ihre Bücher markieren, Eintrittskarten für Veranstaltungen lassen sich absichern oder Pharmakonzerne können ihre Medikamente vor billigen Nachahmern schützen.

Aber auch tiefer greifende Anwendungen sind in Planung. Vor allem Staaten in Südost-Asien sind daran interessiert. Mit den Chips, werden sie im menschlichen Körper implantiert, lassen sich auch Gefangene in Strafanstalten markieren. Zählappelle und Vollständigkeitskontrollen lassen sich reduzieren, ein Auffinden im Falle von Ausbrüchen geht einfacher. Auch Mitarbeitern in Unternehmen könnte in Zukunft Ungemach drohen. Zwingt man sie, eine Identitätskarte während der Arbeitszeit mit sich zu führen, läßt sich jederzeit kontrollieren, welcher Mitarbeiter zu welchem Zeitpunkt an welchem Ort war.

Im Moment sind jedoch noch zahlreiche Probleme vorhanden. Experten haben eine Verschiebung der Einführung des neuen Ausweises gefordert. Grund ist, daß noch keine umfangreichen Tests stattfanden. Jedoch haben Tests ergeben, daß die Technologie nicht ausgereift ist. Die Fehlerquote bei der Erkennung von biometrischen Daten ist noch immer bedenklich hoch. So zeigen Studien, daß die richtige Erkennung bei Fingerabdrücken nur zu rund 80 Prozent funktioniert. Wesentlich besser schneidet bereits jetzt der Irisscan ab. Er erkennt 96 Prozent der Personen. Ein Mißbrauch der Daten soll ausgeschlossen werden.

Massiver Druck der Vereinigten Staaten

So können nur zugelassene Lesegeräte aus einer Entfernung von maximal 10 Zentimetern die Chips auslesen. Auch soll es keine zentrale Stelle geben, in der eine Informationssammlung stattfindet. Das mag richtig sein. Nur, wer garantiert, daß andere Staaten auch so verantwortungsvoll mit den Daten umgehen, wie das der deutsche Staat vorgibt? Auch müssen Datendiebe nicht die Chips direkt auslesen, sondern es genügt, wenn sie den Datenstrom zwischen Lesegerät und Ausweis abhören. Für Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) ist der neue Ausweis, liebevoll auch "ePaß" genannt, mehr als ein Dokument. Es soll auch die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft unter Beweis stellen, da einer der größten Hersteller von RFID-Chips Infineon ist. Deutschland versucht sich mal wieder als Musterknabe. Die europäische Union beschloß die Einführung von Ausweisen mit biometrischen Daten auf massiven Druck der Vereinigten Staaten. Allerdings verlangen diese im Moment nur maschinenlesbare Ausweise, keine biometrischen, damit die Visa-Pflicht entfällt.

Warum der alte maschinenlesbare Ausweis unsicherer ist als der neue, verrät Minister Schily nicht. Auch haben Experten den Eindruck, daß der neue Ausweis eher der Fahndung diene und weniger der Reisesicherheit. Vor allem im Internet hat sich der Widerstand gegen den neuen Reisepaß schon formiert. Dort werden die Staatsbürger aufgefordert, mit kurzen Mikrowellenduschen, Nadeln oder Magneten den Chip unbrauchbar zu machen.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen