© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 29/05 15. Juli 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Beispielhaft
Karl Heinzen

Eigentlich ist der Fall Volkswagen eher untypisch für die zahlreichen hübschen Korruptionsskandale, die die Bürger unterhalten und ihnen vor Augen führen, daß sich auch in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation gutes Geld verdienen läßt, sofern man nur über die richtigen Kontakte verfügt. In Wolfsburg, so mag man vermuten, haben die Betroffenen nicht bloß Pech, daß ausnahmsweise doch mal etwas ans Licht gezerrt wurde, sondern es ist eine Intrige am Werk, die darauf zielt, eine sozialdemokratisch-gewerkschaftliche Bastion, die sich ausgerechnet in einem Top-Unternehmen hält, zu schleifen. Die seit Führers Zeiten sozialpartnerschaftlich vor sich hin dümpelnde Volkswagen AG soll sich endlich in einen ganz normalen Konzern wandeln, für den Heuschrecken keine Plage sind.

Die Details, die über den Skandal kolportiert werden, sind dennoch repräsentativ. So sollen Führungskräfte über Tarnfirmen Millionenbeträge in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Dies mag nicht den Aufgaben entsprechen, die ihr Arbeitsvertrag fixiert, ist aber keineswegs verwerflich. In einer freien Marktwirtschaft, in der rationale Individuen ganz auf ihren Eigennutz ausgerichtet agieren und die Wohlfahrt aller sich dann, wie man weiß, von selbst einstellt, ist es die Pflicht jedes Einzelnen, sein Einkommen zu mehren und dabei auch Wege zu beschreiten, die das Vorurteil als unerlaubt ansieht. Am Anfang jeder Innovation steht der Wille, das Unerhörte zu wagen, das pikierte Naserümpfen über jene, die sich starrem Recht nicht beugen, weil es ihrem Interesse entgegensteht, ist daher ein Symptom für den Mangel an Mut und Dynamik, an dem unsere Gesellschaft zugrunde geht.

Aber nicht nur Manager, sondern auch Arbeitnehmervertreter sollen ihren Nutzen aus dem "System Volkswagen" gezogen haben. Mit schönen Reisen und ansonsten unerschwinglichen Eliteprostituierten habe der Konzern, angeblich unter Mitwirkung des Büros von Peter Hartz, Betriebsräten ihre Zustimmung zu problematischen Entscheidungen erleichtert. Jetzt endlich versteht der Bürger die Klage vieler Unternehmer, daß die Mitbestimmung ein kaum noch zu verkraftender Kostenfaktor sei. Für die Basis der Gewerkschaften hingegen mag diese Enthüllung ein Anreiz sein, ihre Passivität aufzugeben und wieder Verantwortung zu übernehmen. Freuen darf sich vor allem aber Peter Hartz. Nachdem sein Name durch die Schröder-Reformen befleckt wurde, wird sich die Nachwelt nun auch an eine humanere Facette seines Wirkens erinnern können.


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