© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/05 22. Juli 2005

Haftbefehl aufgehoben
Das Bundesverfassungsgericht stärkt den Schutz der Bürger vor Auslieferung
Eike Erdel

Mit Urteil vom 18. Juli hat das Bundesverfassungsgericht das im vergangenen Sommer in Kraft getretene Gesetz über den Europäischen Haftbefehl für nichtig erklärt (Az.: 2 BvR 2236/04). Das Gesetz greife unverhältnismäßig in die Auslieferungsfreiheit nach Artikel 16 Grundgesetz ein. Zudem dürfe die Auslieferungsentscheidung nicht einer richterlichen Überprüfung entzogen werden, deshalb verstößt das Gesetz nach Auffassung der Karlsruher Richter auch gegen die Rechtsweggarantie nach Artikel 19 Grundgesetz. Solange der Gesetzgeber kein neues Gesetz erläßt, ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen nicht mehr möglich.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung den Schutz der Bundesbürger vor Auslieferung gestärkt, ohne die Verfassungsmäßigkeit einer Auslieferung grundsätzlich zu bezweifeln. Bis zur Erweiterung des Artikel 16 Absatz 2 Grundgesetz im November 2000 stellte das Grundrecht klar: "Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden."

Dieses absolute Auslieferungsverbot des Grundgesetzes wurde anläßlich der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag aufgehoben. Seitdem ist das Auslieferungsverbot eingeschränkt: "Durch Gesetz kann eine abweichende Regelung für Auslieferungen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder an einen internationalen Gerichtshof getroffen werden, soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind."

Diese verfassungsrechtliche Voraussetzungen für eine Auslieferung hat das Gesetz über den Europäischen Haftbefehl nicht erfüllt. Die Karlsruher Richter stellten klar, daß der Gesetzgeber nicht unbeschränkt vom Verbot der Auslieferung Deutscher abweichen darf. Bei der Einschränkung der Auslieferungsfreiheit unterliegt der Gesetzgeber nämlich verfassungsrechtlichen Bindungen, die sich aus dem besonderen Schutzgehalt des Grundrechts und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergeben.

Die Auslieferungsfreiheit des Grundgesetzes schützt den Bürger davor, nicht gegen seinen Willen aus der vertrauten Rechtsordnung entfernt zu werden. Anders ausgedrückt: Jeder Deutsche soll - sofern er sich in der Bundesrepublik aufhält - vor den Unsicherheiten einer Aburteilung unter einer ihm fremden Rechtsordnung bewahrt werden.

Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts muß ein Deutscher, der in Deutschland eine Straftat begeht, grundsätzlich nicht mit der Auslieferung an eine andere Staatsgewalt rechnen. Vielmehr muß er sich darauf verlassen können, daß sein rechtmäßiges Verhalten nicht nachträglich als rechtswidrig qualifiziert wird. Dies sei nur dann anders, wenn die vorgeworfene Tat einen maßgeblichen Auslandsbezug habe.

Das Verfassungsgericht hat die Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß der Gesetzgeber es versäumt hat, die durch die Europäische Union bei der Umsetzung des Haftbefehls gelassenen Spielräume nicht ausgeschöpft zu haben. So erlaubt der Rahmenbeschluß der Europäischen Union den Justizbehörden, die Vollstreckung des Haftbefehls zu verweigern, wenn er sich auf Straftaten erstreckt, die im Hoheitsgebiet des ersuchten Mitgliedstaates begangen worden sind. Für solche Taten hätte der Gesetzgeber nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Möglichkeit schaffen müssen, die Auslieferung Deutscher zu verweigern. Außerdem fehlt es an der Möglichkeit eine Auslieferung zu verweigern, weil ein Verfahren vor deutschen Gerichten eingestellt oder schon die Einleitung abgelehnt worden ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber einen klaren Auftrag erteilt. Bei einer Neuregelung sind die Gründe für die Unzulässigkeit der Auslieferung Deutscher neu zu fassen und die Einzelfallentscheidung über die Auslieferung hat rechtsstaatlichen Grundsätzen zu genügen. Es greift damit wieder einmal tief in die Gesetzgebung ein, weil der Gesetzgeber die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht beachtet hat. Dabei kam die Entscheidung nicht unbedingt überraschend. Im Gesetzgebungsverfahren haben zahlreiche Verfassungsrechtler den Entwurf kritisiert.

Die erwartete Auseinandersetzung zum Verhältnis von EU-Recht und Grundgesetz hat das Bundesverfassungsgericht aber vermieden. Zuvor hat einiges auf eine intensivere Auseinandersetzung zu diesem Thema hingedeutet. So standen unter anderem auch die Themen "Schrittweise Entstaatlichung durch Übertragung von Kernkompetenzen" und "Identität des deutschen Verfassungsstaates und sekundäres Unionsrecht" auf der Tagesordnung in Karlsruhe. Die Ausführungen im Urteil zu dieser Problematik halten sich in Grenzen. In der Entscheidung führt das Bundesverfassungsgericht nur aus, daß mit der Möglichkeit der Auslieferung an Mitgliedstaaten der Europäischen Union die deutsche Staatsbürgerschaft weder aufgehoben noch entwertet werde. Es handele sich bei der Einschränkung des Auslieferungsschutzes nicht um einen Verzicht auf eine essentielle Staatsaufgabe oder die deutsche Staatlichkeit.

Damit wird man in dieser Frage die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Klage des CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler gegen die Ratifizierung der EU-Verfassung abwarten müssen.


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