© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/05 22. Juli 2005

Auf den Spuren von Karl Kraus
Neuwahlen: Wenn Bundespräsident Horst Köhler einem weisen Ratschlag folgt, hat er sich für das Richtige entschieden
Thorsten Thaler

Karl Kraus, natürlich, hat es schon längst gewußt: "In zweifelhaften Fällen entscheide man sich für das Richtige", rät er in seiner unerschöpflichen Weisheit Bundespräsident Horst Köhler. Derweil überlegt das deutsche Staatsoberhaupt seit nunmehr drei Wochen, was wohl das Richtige in dieser vertrackten Situation sein möchte. Auflösen oder Nichtauflösen, das war hier die Frage, die zu entscheiden Köhler von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) genötigt worden war, als der am 1. Juli im Vertrauen auf das angeblich nicht mehr vorhandene Vertrauen der Roten und Grünen im Bundestag die Vertrauensfrage stellte und eine Mehrheit nicht nur der Roten und Grünen im Bundestag Schröders Vertrauen in das angeblich nicht mehr vorhandene Vertrauen nicht enttäuschen wollte und ihm das Vertrauen entzog. Seither grübelte der Bundespräsident nicht nur über die dialektischen Finessen des Kanzlers nach, sondern hatte nach Artikel 68 Grundgesetz auch binnen 21 Tagen zu entscheiden, ob er Schröders Ansinnen, den Bundestag aufzulösen und Neuwahlen anzusetzen, folgten sollte. Jetzt hat Köhler sich in diesem zweifelhaften Fall entschieden, und zwar - dem unsterblichen Karl Kraus sei's gedankt - für das Richtige. Was genau das Richtige ist, wird er an diesem Donnerstag oder Freitag verkünden, dem Kanzler ebenso wie dem deutschen Volk. Und irgendwann wird sich dann auch der Wähler entscheiden müssen.


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