© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/05 29. Juli / 05. August 2005

Frisch gepresst

Europas Geschichte. Der Band 6 des Jahrbuchs für Europäische Geschichte, immer noch von dem Mainzer Historiker Heinz Duch-hardt herausgegeben, ist erschienen (Oldenbourg Verlag 2005, 230 Seiten, broschiert, 39,80 Euro). Schwerpunktthema sind die "Akademischen Migrationen und Austauschprozesse seit dem Spätmittelalter". Wie schon in den fünf vorangegangenen Bänden, so fällt auch hier wieder unangenehm auf, daß gerade das jeweilige Hauptthema stets mit eher randständigen Beiträgen bestritten wird. Denn Studien über serbische Studenten an deutschen Universitäten des 19. Jahrhunderts oder über die Ausbildung italienischer Nachwuchswissenschaftler in Deutschland zwischen 1861 und 1915 sind doch wohl in Zeitschriften besser plaziert. Repräsentativer und einem Jahrbuch mit diesem Titel angemessener ist da schon der jedoch außerhalb des Schwerpunkts publizierte Forschungsüberblick zur Historiographie der europäischen Arbeiterbewegung von Stefan Berger. Vehement weist Berger Gerrassimo Moschanas provokante These zurück, wonach die sozialdemokratischen Parteien Europas ihre Taue zur Arbeiterschaft gekappt hätten. Die Adaption neoliberaler Gedanken sei einer "Selbstaufgabe" gleichgekommen. Berger hingegen meint, daß Klassenkampf und Überwindung des kapitalistischen System nie den identitären Kern der Arbeiterparteien ausgemacht hätten, so daß ihre Transformation zu "Volksparteien" und schließlich ihre Besetzung der "Neuen Mitte" kein "Verrat" am ursprünglichen Programm, sondern dessen Erfüllung, nämlich die Realisierung von Demokratie und sozialer Gerechtigkeit bedeute.

 

Lothar Späth. Während die dank hoher Wachstumsraten selbstbewußt gewordenen Chinesen oder die Amerikaner fast mitleidig auf das morsche Europa schauen, welchem jüngst die vorschnelle und inhaltsleere Einigungs- und Erwei-terungsstrategie durch Volkes Wille auf die Füße gefallen ist, sieht der langjährige baden-württembergische Ministerpräsident und Jenoptik-Chef Lothar Späth ganz ungeahnte Potentiale in dieser "alten Welt" schlummern. So könne auf so bewährte - und zum Beispiel den USA eher fremde - Tugenden wie den Reichtum des historischen und kulturellen Erbes und vor allem eine "historischen Kriegsmüdigkeit" als Standortworteile zurückgegriffen werden, die in der Tat einem "Zukunftsmodell für die globalisierte Welt" (wie Späth ganz unbescheiden sein Buch untertitelt) zu wünschen wären. Von den miesepetrigen Deutschen fordert er, den Kontinent durch einen von erwachendem Patriotismus begleiteten Gründergeist aus der Lethargie zu reißen. Schließlich habe Deutschland mehr zu bieten als Mülltrennung, Hitler und Sozialbüro-kratie (Strategie Europa. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, 271 Seiten, gebunden, 19,90 Euro).


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