© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/05 12. August 2005

Pankraz,
Holger Pfahls und der Stich des Geldes

Während seiner Waldheimer Jahre traf Pankraz einen Knastbruder, einen Mann aus Albanien, der schlecht Deutsch konnte und fünfzehn Jahre hatte. "Fünfzehn Jahre! Eine lange Zeit. Was hast du denn gemacht?" - "Haben bestochen." - "Was, bestochen? Und dafür fünfzehn Jahre?" - "Haben doch nicht bestochen mit Geld, haben bestochen mit Messsäär."

Das Exempel zeigt, daß im naiven Volksbewußtsein die Bestechung mit Geld zu den läßlicheren Sünden gezählt wird, weit hinter banalen Messerstechereien rangierend. Es gibt bei dieser Art von Bestechung kein direktes Opfer, der Bestochene ist genauso schuldig wie der Bestecher, vielleicht noch schuldiger, denn er provoziert ja mit seiner Geldgier im Grunde die Tat. "Bestochen" im ursprünglichen Sinne des Wortes wird, nämlich Schaden erleidet ein Dritter, meistens der Staat oder besser: das Gesetz und diejenigen, die auf die Geltung der Gesetze vertrauen und sich an sie halten.

Sehr pikant die Strafsache "Ludwig-Holger Pfahls", die jetzt vor einem Augsburger Gericht ihren (vorläufigen) Abschluß gefunden hat. Der der passiven Bestechung Angeklagte, jener ehemalige Staatssekretär Pfahls, nahm Gelder von einer auswärtigen Macht, welche glaubte, damit für sie günstige Waffengeschäfte beeinflussen zu können. Wie aber prominente Zeugen, unter ihnen Ex-Bundeskanzler Kohl und Ex-Außenminister Genscher, bekundeten, war Pfahls' "Bestechung" gar nicht nötig, die Saudis hätten die Spürpanzer auf jeden Fall bekommen, das war von vornherein der Beschluß der Bonner Regierung.

Pfahls, so gaben Kohl und Genscher zu Protokoll, sei gar nicht in der Lage gewesen, das hochpolitische Geschäft durch eventuelle Fürsprachen positiv zu beeinflussen, dazu sei seine Stellung in der Hierarchie viel zu gering gewesen. Und mehr noch: Pfahls, so ließen die Zeugen durchblicken, habe über seine Einflußlosigkeit in dieser Angelegenheit genau Bescheid gewußt. Er habe der auswärtigen Macht, also den Saudis, lediglich Einflußmöglichkeit vorgespiegelt, eine persönliche Eulenspiegelei gewissermaßen, deren Strafbarkeit gar nicht leicht zu fixieren ist. Übrig bleiben Vorteilsnahme und Steuerhinterziehung.

An sich hätten die Saudis, nicht der deutsche Staat, an Pfahls ihr Mütchen kühlen müssen, denn sie waren die Gelackmeierten. Aber sie empfinden den Deal offenbar gar nicht als justitiabel, für sie gehört es bei Geschäften dieser Art offenbar zur Selbstverständlichkeit, daß alle dabei irgendwie aktiv Beteiligten Summen überwiesen bekommen. Niemand sticht zu, niemand erweist sich als bestechlich, sondern es wird einfach der regionalen Geschäftstradition Genüge getan, wie sie manchmal schon seit Jahrhunderten im Schwange ist und noch nie zu moralischen Skrupeln Anlaß geliefert hat.

Und in Deutschland? Hier existiert eine hochdifferenzierte und hochskrupulöse, durch Gesetze sorgfältig abgesicherte Beamten- und Vertragskultur, die Bestechern und Bestechlichen kaum Spielraum läßt, ihre staatliche oder soziale Stellung für persönliche Extra- Bereicherungen auszunutzen. Auch gibt es einen strengen Komment, der solche Bereicherungen als durch und durch verächtlich brandmarkt. Jedenfalls bis noch vor kurzem war das so, und es war fester Bestandteil des Selbstverständnisses und des Stolzes des Landes.

Leider ändert sich das, im selben Maße, wie der Stolz auf das eigene Land und seine Traditionen schwindet und Geld, ob stinkend oder nicht, zum alleinigen Kriterium für gesellschaftliches Ansehen aufsteigt. Die Korruptionsfälle der letzten Monate sprechen eine deutliche Sprache. Was besonders auffällt, ist die fast explosionsartige Ausweitung der diversen Bestechungsformen sowie das Verschwimmen der Grenzen zwischen Erlaubtem und Nichterlaubtem. Schon spricht man in Sachen Bestechung statt von Nichterlaubtem nur noch augenzwinkernd von "Gerade-noch-Erlaubtem".

"Product Placement", vulgo Schleichwerbung, nach bisherigem Verständnis eine grelle Art von Bestechung und per Gesetz verboten, gilt beim Zeitgeist allenfalls noch als Kavaliersdelikt. Die EU in Brüssel erwägt seine ausdrückliche Legalisierung und bürokratische Förderung. Ohne diese Art von Bestechung, wird von den Euro-Strategen suggeriert, sei modernes Verkaufen gar nicht mehr möglich.

Im medialen Krieg um die knappe Ressource Aufmerksamkeit genüge es nicht mehr, Häuserwände, Zeitungsseiten und Fernsehsendungen mit direkter, "legaler" Werbung vollzustopfen, sondern es gehe heute darum, die Verkaufsbotschaften subtil ins Unterbewußtsein der potentiellen Konsumenten zu senken, sie gleichsam zu Persönlichkeitsbestandteilen der Konsumenten zu machen. Und so etwas gehe nur indirekt und heimlich, eben nur via gekonnter Schleichwerbung.

"Jedes zwischenmenschliche Kommunizieren ist Product Placement", lehrt der Verkaufspsychologe Hendrik de Vries. "Wir machen immer Reklame für etwas, nur war das früher meistens umsonst. Jetzt muß endlich dafür bezahlt werden." Goldene Aussichten! Keine Fürsprache, kein ordentliches Zeugnis, ja, kein freundliches Beschreiben mehr, ohne daß dafür sofort das Geld im Kasten klingt. Schon bloßes Erwähnen muß künftig durch Bestechung extra herbeigeführt werden, einerlei ob positiv oder kritisch erwähnt wird. Die Redeweise "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" wird schneidend widerlegt.

Trotzdem bleibt vielen ausgesprochen unwohl angesichts solcher Perspektiven. Unsere Sprache drückt das gut aus, indem sie eine unmittelbare Beziehung herstellt zwischen Stechen, also Wunden Beibringen, unter Umständen sogar Tod Herbeibringen, und gesetzesfernem Geldfluß. Der "Stich" des Geldes ist unblutig, aber Wunden hinterläßt er dennoch. Er kann à la longue vielleicht sogar tödlich sein, für einzelne wie für ganze Gemeinschaften.


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