© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/05 12. August 2005

Hart, aber herzlos
Zweistündiger Blutrausch: Robert Rodriguez' "Sin City" ist nicht jedermanns Sache
Michael Insel

Alle möglichen Regisseure haben schon versucht, Comic-Helden als Übermenschen aus Fleisch und Blut auf die große Leinwand zu bringen. Die Ergebnisse fielen nicht immer überzeugend aus: von dem billigen Matinee-Schlock "Flash Gordon" (1936) über Warren Beattys aufwendige filmische Travestie "Dick Tracy" (1990) bis zur fulminanten Rückkehr des Dunklen Ritters in Christopher Nolans scharfkantigem "Batman Begins" (2005).

Keiner von ihnen ist jedoch dem Original so treu geblieben wie Robert Rodriguez bei der Verfilmung von Frank Millers 1991 begonnener "Sin City"-Serie. Um Miller entgegen den Gewerkschaftsregeln als Koregisseur an Bord holen zu können, trat Rodriguez sogar aus der Directors Guild of America aus. Mit Hilfe digitaler Kulissen und Green Screen-Technik, bei der die Schauspieler sozusagen auf leerer Bühne agieren, stellten die beiden drei der insgesamt sieben "Sin City"-Geschichten Bild für Bild nach.

Millers Nachtgestalten fahren Schlitten aus der Film noir-Ära und raunzen ihre markigen Wortwechsel in Mobiltelefone: eine düstere retro-futuristische, klaustrophobische Welt, die kein Sonnenstrahl je durchdringt. Immer wieder laufen die räumlich und zeitlich parallelen Erzählstränge in einer verrauchten, verruchten Stripbar zusammen. Die Guten, die sich in diesem Sündenpfuhl suhlen, sind schlimm genug, von den Bösewichtern ganz zu schweigen. Quentin Tarantino, an dessen "Pulp Fiction" der Film nicht nur strukturell erinnert, führt bei einer allerdings eher schwachen Szene Gastregie.

In kurzen Vignetten, die die Handlung einrahmen, stimmt Josh Hartnett als professioneller Killer, eine Figur aus einer früheren Miller-Story, auf den zweistündigen Blutrausch ein: Willkommen in Basin City, der verregneten Metropole, über deren Bevölkerung aus Kleinkriminellen, Zuhältern, Nutten und Mördern verlogene Politiker und korrupte Bullen herrschen.

Mickey Rourke, der in der ersten Episode "Stadt ohne Gnade" ein spektakuläres Comeback feiert, ist kaum zu erkennen unter den Stirn-und-Nasen-Prothesen, die ihm die entstellten Gesichtszüge des Psychopathen Marv verleihen. Nach einer Liebesnacht findet er seinen "Engel", die Prostituierte Goldie (Jamie King), ermordet neben sich im Bett. Damit beginnt ein Rachefeldzug, bei dem sich manchem Zuschauer der Magen umdrehen dürfte.

Einen gefälligeren Anblick bietet Dwight (Clive Owen), ehemaliger Journalist und späterer Privatdetektiv, der längst nur noch ziellos durch die Gassen und Gossen der Stadt streunt. Dem Grauen tut dies keinen Abbruch, macht seine Geschichte über die Fehde der mit Samurai-Schwertern bewaffneten Huren von Sin City (sehenswert: Rosario Dawson und Devon Aoki) gegen Polizei und Mafia ihrem Titel "Das große Sterben" doch alle Ehre. Daß eine der unzähligen Leichen sprechen kann, sorgt für einen willkommenen Lacher.

Im Abschlußkapitel, "Dieser feige Bastard", spielt Bruce Willis den legendären John Hartigan, der als einziger ehrlicher Polizist in der ganzen Stadt gilt. Acht unmenschliche Jahre lang beschützt er Nancy, die sich von einem elfjährigen Mädchen zu einer bildhübschen exotischen Tänzerin (Neuentdeckung Jessica Alba) entwickelt, vor dem Kinderschänder Junior (Nick Stahl), Sohn des allseits gefürchteten Stadt- und Kirchenfürsten Roark (Powers Boothie).

In Sin City sind die Männer hart und die Frauen sündhaft schön, als wären sie allesamt einem Roman von Raymond Chandler oder Mickey Spillane entsprungen. Selten wurde der Mythos des abgebrühten Helden so gründlich entstaubt und mit noch brutalerem Leben erfüllt. Letztlich ist diese blutdurchtränkte Macho-Romantik kaum weniger kitschig als jedes Hollywood-Rührstück, schwelgt sie doch mindestens so sehr in ihren Bildern von einer abgrundtief schlechten Welt wie jenes in seinem Bestehen auf dem Happy-End.

Ein derart heil- und gnadenloser Angriff auf alle Sinne ist Geschmacks- und gewiß nicht jedermanns Sache - wer indes meinte, Comics seien für Kinder, wird hier jedenfalls eines anderen belehrt. Die hochgradig stilisierte Schwarzweiß-Ästhetik des Films reproduziert Millers Vorlagen exakt; gelegentliche Farbspritzer akzentuieren die moralischen Grautöne: Augen, ein Kleid, Lippen sowie die eine oder andere Blutlache oder -fontäne stechen grell hervor. Den allzu offensichtlichen Effekt von Blutrot vermeiden Rodriguez und Miller dabei weitgehend zugunsten eines surreal leuchtenden Weiß oder kränklichen Blaßgelb.

Auch wenn "Sin City" mit seinen nicht-enden-wollenden dritten Akten und den ständig wiederkehrenden Themen von Rache, Grausamkeit und Korruption ein wenig an Überlänge leidet, ist den Regisseuren ein absolut sehenswerter, origineller und unterhaltsamer Film geglückt - definitiv Rodriguez' bislang bestes Werk. 

Fotos: Psychopath Marv (Mickey Rourke) sitzt dem auf ihn angesetzten Killer gegenüber: Rachefeldzug, Rache-Engel Miho (Devon Aoki): Die Guten sind schlimm genug


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