© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Vertriebene zieht es in die Kirche
Gedenkpolitik: Bund der Vertriebenen verhandelt mit Berliner Kirchengemeinde / Kardinal Sterzinsky lehnt Zustimmung ab
Marcus Schmidt

In den Streit um das vom Bund der Vertriebenen (BdV) in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen ist überraschend Bewegung gekommen. Am vergangenen Wochenende kündigte BdV-Präsidentin Erika Steinbach gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung an, daß der BdV sich mit dem Kirchenvorstand der Berliner St. Michaelkirche im Stadtteil Mitte über eine Teilnutzung des Kirchengebäudes für das Zentrum geeinigt habe. Anfang der Woche ließ der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky jedoch mitteilen, das Erzbistum werde zum "jetzigen Zeitpunkt" dem Projekt nicht zustimmen.

Die Katholische Kirche steckt in einer Finanzkrise

Kardinal Sterzinsky sagte, er werde sein Einverständnis geben, wenn hinreichend klar sei, was der BdV mit einem solchen Zentrum erreichen wolle, und es einen gesellschaftlichen Konsens in dieser Frage gebe. Gleichzeitig bestätigte er die Verhandlungen des Kirchenvorstandes mit dem BdV. Steinbach zeigte sich von der Ankündigung des Kardinals unbeeindruckt. Sie halte weiterhin an dem Vorhaben fest, sagte die CDU-Bundestagsabgeordnete und verwies darauf, daß der Kirchenvorstand bereits zweimal den Entschluß gefaßt habe, dem BdV eine Teilnutzung der Kirche zu ermöglichen.

Hintergrund für die Bereitschaft der katholischen Kirche, das Gotteshaus teilweise für eine Fremdnutzung zur Verfügung zu stellen, ist die Finanzkrise der Kirche in der Hauptstadt. In der Vergangenheit waren aus diesem Grund bereits mehrere Berliner Kirchen verkauft worden.

Besondere Brisanz erhielt die Mitteilung des BdV über die bevorstehende Einigung mit dem Kirchenvorstand durch die Terminierung wenige Tage vor der Reise der Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel nach Warschau. Die Union hatte in den vergangenen Wochen mehrfach ihre Unterstützung für das Zentrum zugesichert. Polen lehnt das Vorhaben - ebenso wie die rot-grüne Bundesregierung - dagegen entschieden ab. Der SPD-Außenpolitiker Markus Meckel forderte Merkel nach dem Bekanntgabe der Pläne auf, sich bei ihrem Besuch in der polnischen Hauptstadt von den Plänen des BdV zu distanzieren, da das Projekt das deutsch-polnische Verhältnis belasten würde. Unklar ist bislang, ob die Informationen über die Verhandlungen des BdV durch eine gezielte Indiskretion an die Öffentlichkeiten gelangt sind.

Die Kirche St. Michael ist nach der Hedwigs-Kathedrale die zweitälteste katholische Kirche in Berlin und wurde in den Jahren 1851 bis 1861 erbaut. Nach dem Krieg wurde die Kirche, die bei einem Luftangriff stark beschädigt worden war, nur teilweise wiederaufgebaut. Nach den Plänen des BdV soll das Zentrum gegen Vertreibungen im zerstörten Hauptschiff des Gotteshauses untergebracht werden, das für diese Zwecke wiederaufgebaut werden soll.

Steinbach hatte bereits im Juni auf dem Deutschlandtreffen der Ostpreußen angekündigt, daß der BdV "eine wunderbare Liegenschaft in Berlin so gut wie unter Dach und Fach" habe. Offensichtlich war schon damals der klassizistische Kirchenbau in der Nähe des Berliner Zentrums gemeint.

Foto: St. Michaelkirche im Bezirk Berlin-Mitte: Der BdV bemüht sich um eine Teilnutzung des Gotteshauses


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