© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Lustanregungen einer volklichen Linken
In Abgrenzung von einer grenzenlosen globalen Zivilgesellschaft: Zur neuen Ausgabe der Zeitschrift "Volkslust"
Herbert Ammon

Entgegen dem Wortlaut des Grundgesetzes gibt es in der "erweiterten Bundesrepublik" (Jürgen Habermas) kein deutsches Volk mehr, sondern nur noch Menschen. Um diese sorgt sich allen voran die neue alte Linkspartei.PDS, indem sie mit Hilfe des Saarländers Lafontaine, der noch unlängst seine Pensionsansprüche mit einem 5.000-Euro-Job als Volkstribun bei der Bild-Zeitung aufbesserte, die "Fremdarbeiter" fernhalten will. Und schuld am Verschwinden des (deutschen) Volkes sind nach populärem Mißverständnis die Nazis.

Wer also noch vom Eros des Volkes spricht, tut gut, die Assoziation mit dem bundesrepublikanischen Gottseibeiuns "Rechts" auszuschließen. Im zweiten Heft der Volkslust, Theorieorgan des in Hamburg angesiedelten FIDEA e.V. (Freies Institut für deutsche und europäische Angelegenheiten), scheint dieses Kunststück gelungen. In dem knappen Editorial beziehen sich die Herausgeber um Hanno Borchert (ehedem wir selbst) auf "die frühe Studentenbewegung der 1960er Jahre ..., um diese fruchtbar zu machen für eine zeitgemäße herrschaftskritische Linke". Zum Beleg dient eingangs der kulturkritisch und antiglobalistisch eingefärbte Aufruf einer Initiative zur Erhaltung des Grabes des 1970 verunglückten Hans-Jürgen Krahl, des Lieblingsschülers von Adorno.

Für Eichberg gibt es keine "Gnade der späten Geburt"

"Volk": den Zugang zur historisch-semantischen Begriffsproblematik eröffnet ein Beitrag ("Folkelighed - ein Übersetzungsproblem?") von Peter Brandt anhand eines Vergleichs der dänischen und deutschen Nationalgeschichte. In Skandinavien verdanken Wörter wie "Volk", "volklich", "Volkheit" ihren "linken" Klang dem Pastor N.F.S. Grundtvig (1783-1872), dem Begründer der dänischen Heimvolkshochschulbewegung und Vorkämpfer des ländlichen Genossenschaftswesens. Als Erweckungstheologe grenzte sich Grundtvig von den Abstraktionen des deutschen Idealismus ab, als "Deutschenfresser" erregte er sich über den seit der Niederlage 1864 übermächtig gewordenen "südgermanischen" Nachbarn.

Das "Volk" war für Grundtvig Träger des Schöpfungsgedankens, in der folkelighed flossen christliche Tugenden mit dem Volkscharakter zusammen. Eine ideengeschichtliche Verwandtschaft erkennt Brandt bei den frühen deutschen "Volkstümlern" Fichte, Arndt und Jahn, im Gegensatz zur völkischen Ideologie eines Julius Langbehn oder Paul de Lagarde. Brandt erinnert an die verpaßten Chancen der demokratischen Neukonstituierung der Deutschen als "Volk" im Jahr des Mauerfalls. Am Volk und an den Völkern hält er fest - in scharfer Abgrenzung von "einer grenzenlosen, globalen Zivilgesellschaft vermeintlich autonomer Individuen".

Am Ende eines ausgedehnten "unsystematischen Versuches" über linksnationale Tendenzen formuliert der Pädagogikstudent Alexander Raoul Lohoff die Einsicht, man solle anstelle von "Linksnationalismus" besser von einer "volklichen Linken" sprechen. Als Ideengeber einer "authentischen Volkslinken" bekennt er sich zu den Anarchisten Rudolf Rocker und Gustav Landauer sowie zu Henning Eichberg, dessen "post-nationalistische" Identifikation von "Volk" und "Zivilgesellschaft" er indes als "unkritisch" verwirft. Am Ende nähert sich Roloff dem Thema der multiethnischen Transformation des "Volkes": "Aus volklicher Perspektive (kann) allein eine 'zwischenvolkliche' Politik der Beziehungen einen Ausweg aus der Desintegration weisen." Das klingt so realitätsnah wie der Lobpreis bunter "Multikultur" aus dem Munde von Claudia Roth ...

Hat Henning Eichberg in der Volkslust sein neues deutsches Forum gefunden? Der Kultursoziologe und einstige Nationalrevolutionär sorgt sich um den Seelenzustand der deutschen Linken, gespalten in PDS-nahe "Antiimperialisten" und politisch heimatlose "Antideutsche", die bei "Antikapitalismus" und US-feindlichem "Antiimperialismus" sogleich an Auschwitz denken. Den Adepten eines Hermann Gremliza, Herausgeber der Zeitschrift Konkret, und der Fan-Gemeinde der antideutschen Postille Bahamas attestiert Eichberg eine "Betroffenheit, die eine speziell deutsche ist".

Nolens volens fungieren so selbst die "linken" Extremneurotiker als Bewahrer der nationalen Identität. Für Eichberg "gibt es eben keine 'Gnade der späten Geburt', wie die bürgerliche Rechte sie sich ausdachte". Ausgedacht hatte sich den Satz ursprünglich der bürgerliche Linke Günter Gaus. Eichberg scheint hier so vergeßlich wie die "linken" Kohl-Verächter von gestern.

Die postnationale linksgrüne Szene von heute sperrt sich gegen die Einsicht, daß ihrem Idol Rudi Dutschke, wenn schon kein offen bekennender Nationalrevolutionär, aus nationalen Motiven die Revolution in ganz Deutschland vorschwebte. Belegt wird das Motiv in dem Interview, das Hanno Borchert mit dem altlinken Grünen Dieter Schütt (Der Funke) über seine Freundschaft mit Dutschke führte: "Mit Rudi hätten die Grünen eine richtige Richtung genommen."

Eigenwillige Thesen zum Sozialismus

Daß "1968" aus dem antibürgerlichen Aufbruch der letzten bürgerlich geprägten Generation in (West-) Deutschland hervorging, ist den Erinnerungen des 1945 geborenen Heinrich Lau zu entnehmen. Noch vor den Beatles und den Stones begeisterte sich eine Generation von Nachkriegsgymnasiasten für Edith Piaf und Françoise Hardy ("sans peur du lendemain"). Auf Umwegen, noch als Reserveoffizier und Mitglied einer schlagenden Verbindung, traf Lau, heute als "linker" Anwalt in "Randgruppenarbeit" engagiert, auf Fritz Teufel. Anno 1967 posierte der Held aus der schwäbischen Provinz auf der Treppe des Vorlesungsgebäudes der Münchner Universität, "als Mischung aus deutschem Wohnungslosen und lateinamerikanischem Guerillero, umgeben von herausfordernd blickenden Frauen mit Attrappen von Handfeuerwaffen im Anschlag". ("Was war vor '68, und was kam danach?")

Derlei Beiträge machen das Heft lesenswert. In anderer Hinsicht mag dies für den Artikel "Sozialismus neu" aus der Feder von Gerald Branstner gelten. Der einstige Cheflektor des DDR-Eulenspiegel wartet mit eigenwilligen Thesen auf: Da geht es um die "verlorene Heiterkeit" in allen "verwalteten" oder Klassengesellschaften. So waren nach Lenin "die 'großen' Führer des Sozialismus fast ausnahmslos dumme Auguste", darunter Mao, dessen Kapriolen "einige Millionen Opfer zur Folge" hatten und schließlich in "die schlimmste Verbürgerlichung in Form der Politik Dengs" mündeten. Und: "Gorbatschow war nur die Vollendung der Stalinschen Konterrevolution." Zwar hält der Autor, pessimistischer als einst Rousseau, den Menschen aufgrund der "Degeneration seiner sittlich-moralischen Qualität und (seiner) kulturellen Verkommenheit" für "absolut unfähig, den Sozialismus zu errichten". Aber schon im Nachsatz hält er am Endziel fest: Wie die saubere Wäsche durch mehrere Spülgänge, "so muß auch die Menschheit durch mehrere Revolutionen gehen ..." Wer keine Lust auf den nächsten Waschgang verspürt, wird womöglich Erheiterung in einer das Heft beschließenden "Ballade vom Deutschlandexpreß" (Elisabeth Quast) finden.

Foto: Rudi Dutschke 1966 bei einer Veranstaltung der Sozialistischen Jugend Deutschlands: Szene-Idol

Titelbild "Volkslust", Heft 2

Weitere Informationen: Redaktion Volkslust, FIDEA e.V., Postfach 60 10 67, 22210 Hamburg, E-Post: redaktion@volkslust.de 

Das Einzelheft kostet 5 Euro zzgl. Porto und Versand.


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