© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Von Ärzten und Dienern, Handwerkern und Luxusgütern
Elite ihrer Herkunftsländer: Eine Berliner Ausstellung beleuchtet Spannungen und Zusammenleben zwischen Christen und Juden im Mittelalter
Ekkehard Schultz

Die Kenntnis vom Leben der Juden im mittelalterlichen Europa ist immer noch stark von Klischees geprägt. So wird häufig der Hauptaspekt einseitig auf die religiös und weltlich motivierten Judenverfolgungen dieser Zeit gelegt, die im Zusammenhang mit den Kreuzzügen und der großen Pestkatastrophe Mitte des 14. Jahrhunderts stehen.

Es ist dem Historischen Museum in Speyer zu danken, daß es eine Ausstellung konzipiert hat, die ein weitaus differenzierteres und reichhaltigeres Bild vermittelt. Nachdem "Europas Juden im Mittelalter" bereits im dortigen Museum der Pfalz von November 2004 bis März 2005 gezeigt wurde, kann sie nunmehr in den Räumen des Deutschen Historischen Museums in Berlin besichtigt werden.

Ausgehend von der Antike werden zu Beginn der Präsentation die Einwanderungswege von Juden in Europa demonstriert. Zwar bestanden nach neuesten Erkenntnissen erste jüdische Ansiedelungen im rheinischen Raum - insbesondere in den wichtigen Zentren wie Trier, Köln und Mainz - bereits im 2. und 3. Jahrhundert. Im Zuge der germanischen Völkerwanderung sowie aufgrund der unsicheren Grenzlage verließen die Zuwanderer diese Gebiete jedoch spätestens im 5. Jahrhundert wieder in Richtung Süden. Über fast ein halbes Jahrtausend dienten insbesondere das Territorium des heutigen Frankreichs, Italiens, Spaniens, Portugals ebenso wie der östliche Mittelmeerraum als Rückzugsraum. Im 8. bis 10. Jahrhundert gab es eine Blütezeit des Judentums in dem 711 von den Arabern eroberten Spanien.

Erst im 9. Jahrhundert setzte erneut ein Zuzug von jüdischen Kaufleuten nach Mitteleuropa ein. Hier genossen sie unter karolinischer Herrschaft Handelsschutz. Im Gegensatz zu den meisten anderen Ländern, in denen die Zuwanderung einzig durch Zentralgewalten gelenkt wurde, erfolgte die Aufnahme auf dem Territorium des Reiches in erster Linie durch die lokalen religiösen und weltlichen Herrscher. Die Ankömmlinge entstammten der sozialen und geistigen Elite ihrer Herkunftsländer, zumeist vermögend und sehr gut gebildet. Männer wie Frauen waren im Gegensatz zum überwiegenden Teil der christlichen Bevölkerung des Lesens und Schreibens kundig. Sie beherrschten die höhere Mathematik und meist mehrere Fremdsprachen. Ferner brachten sie einen reichen Wissensschatz, insbesondere auf dem Gebiet der Medizin und Astronomie mit, der seine Grundlage in der Antike hatte, jedoch in Mitteleuropa in Vergessenheit geraten war.

Innerhalb weniger Jahre stieg in Mainz, Worms und Trier die Zahl der jüdischen Zuwanderer so, daß sie eigenständige Körperschaften innerhalb der Städte bildeten. Hier genossen sie besondere Privilegien und konnten ihre eigenen Rituale pflegen. Im Gegenzug waren sie allerdings verpflichtet, ein hohes Steueraufkommen zu entrichten, welches sich an geschätzten und nicht an tatsächlichen Einnahmen orientierte. Verarmte Juden stellten daher für die Gemeinden ein großes Problem dar, da die Verzögerung einer Zahlung zur Ausweisung der ganzen Gruppe führen konnte - im Gegensatz zu den Juden auf der iberischen Halbinsel. Im Reich kam es daher zu keiner den dortigen Verhältnissen auch nur annähernd vergleichbaren sozialen Schichtung.

Das Zusammenleben zwischen Juden und Christen - insbesondere der privilegierten christlichen Schichten - gestaltete sich im Regelfall eng. Angehörige der christlichen Oberschicht bevorzugten jüdische Ärzte, Juden kauften ihre Gegenstände des täglichen Bedarfs bei christlichen Handwerkern und steigerten damit deren Umsatz, christliche Dienerinnen und Diener arbeiteten in jüdischen Haushalten und vermögende Christen kauften Luxusgüter, die die Juden ins Land brachten.

Dennoch gab es schon früh Spannungen, die insbesondere der rechtlichen Bevorzugung der Juden geschuldet waren. Zudem trug die teilweise hohe Verschuldung der geistlichen und weltlichen Herrscher bei den Juden dazu bei, daß diese sich im Zweifelsfall Angriffen, die sich zu Pogromen steigern konnten - so im Zusammenhang mit der Kreuzzugsbewegung -, nicht entgegenstellten. Die zumeist regionalen Verfolgungen mündeten allerdings erst mit der Ausbreitung der Pest in den Jahren 1348 bis 1350, an der den Juden die Schuld gegeben wurde, in einer existenziellen Bedrohung, die das Ende der jüdischen Blütezeit in den meisten Siedelungen des Reiches darstellte.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten in Deutschland aufgrund der verhältnismäßig großen Rechtssicherheit nach Verfolgungen in anderen Ländern, so zum Beispiel nach der Vertreibung aus England im Jahr 1290, viele jüdische Flüchtlinge Zuflucht gefunden. Erst mit den Pestpogromen beginnt die Wanderungsbewegung von Juden in den Osten Europas, nach Ungarn, Polen und Litauen.

Die Ausstellung belegt ferner, daß von einer eigenen jüdischen Kultur im mittelalterlichen Europa nicht gesprochen werden kann. Die Einwanderer übernahmen vielmehr schnell die Kultur ihrer Umwelt, in die sie ihre besonderen jüdischen Traditionen integrierten. Dies zeigen Funde von Gegenständen aus ehemaligem jüdischen Besitz auf der iberischen Halbinsel, die den Formen der damaligen arabischen Gesellschaft Rechnung tragen. Die Orientierung an der jeweiligen Kultur des Zuwanderungsgebietes war auch daher leicht möglich, weil die Juden zumeist in guten und zentralen Lagen und nicht in eingegrenzten Ghettos wie in der frühen Neuzeit siedelten.

Foto: Judenbad in Speyer

Die Ausstellung wird noch bis zum 28. August im Deutschen Historischen Museum, Pei-Bau, Unter den Linden 2, täglich von 10 bis 18 Uhr gezeigt. Tel.: 030 / 2 03 04-0. Der reich bebildete Katalog mit 285 Seiten kostet 19,90 Euro.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen