© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Atheistische Religionskritik auf indisch
Eine voluminöse Philippika über Jaya Gopals Dekonstruktion des Islam
Hans-Jürgen Hofrath

Kritische Betrachtungen des Islam mit Blick auf dessen Totalitarismus- und Gewaltpotential sind am Buchmarkt nichts Singuläres. Gleichwohl stellt der vorliegende Band insoweit ein Novum dar, als er eine Islamkritik aus indischer Sicht versucht.

Das vorliegende Werk besticht durch Material- und Detailfülle - was viele Leser sicherlich überfordern mag. Dennoch kann dem Verfasser der Vorwurf, im wesentlichen doch Bekanntes zu rezipieren, nicht ganz erspart werden - zumal die Kritik auch nicht primär hinduistisch, sondern nach eigenem Bekunden des Autors primär atheistisch motiviert ist. So nutzt er auch an diversen Stellen seine vordergründige Islam-Kritik zu einer umfassenden Dekonstruktion jeglicher religiöser Dimension, schließe diese doch kategorisch alles "Vernunftgemäße" aus - hier steht der Autor ganz in der Tradition eines Ludwig Feuerbach. Exemplarisch für seinen antireligiösen Affekt ist die pauschale Reduzierung religiöser Phänomene auf Psychologisierung und Gehirnprozesse.

So wie die dem Propheten Moham-med via Erzengel Gabriel "eingeflüsterten" Botschaften Allahs nichts anderes als Selbstidealisierungen unter gleichzeitiger Instrumentalisierung zwecks Machtgewinnung darstellten, so sei auch jeglicher religiöse Glaube mit seinen Jenseitsvorstellungen generell lediglich ein Zerrbild neuroelektrischer Erregungsmuster - womit Gopal eine jüngst in den Feuilletons mit Verve geführte Debatte aufgreift.

Sicherlich ist die Frage der Prädes-tination eine der zentralen Glaubens-säulen des Islam, gleichwohl unterschlägt der Autor, daß gerade auch im fernöstlichen Glaubenskreis dieses Element eine Rolle spielt und so keineswegs islamspezifisch ist - erinnert sei hier an die Karma-Lehre. Aber auch in westlichen Philosophien gelangten immer wieder Vorstellungen zum Durchbruch, die über vorherbestimmte Endzwecke der Geschichte räsonieren - wie Kant, Hegel und Marx belegen.

Natürlich versäumt es der Autor nicht, das unterdessen bis zum Überdruß strapazierte und hinlänglich populäre Lamento von der Unterdrückung der moslemischen Frau neuerlich zu entfalten. Dies alles mag größtenteils zutreffen, jedoch enthält er uns - ganz dem feministischen Zeitgeist geschuldet - potentielle Nachteile und Überspitzungen der allseits beklatschten "modernen" Sichtweise vor.

Gleichwohl scheint hier die spiegelbildlich-diametrale Gegensatzlage zwischen westlicher und islamischer Kultur am vordergründigsten und banalsten auf: Bei uns in vielen Rechtsbereichen einseitige Forcierung von Frauenrechten - dort Geringschätzung etwa weiblicher Zeugenaussagen. Hier Abtreibungsverharmlosung sowie Glorifizierung von Frauenrollen in Form von "Sexualvamp" oder "Mannweib" - dort das Ideal der Mutterschaft. Hier exhibitionistisch-aufreizende weibliche Sexualität, dort Burka und Tschador als Insignien des Weiblichen. Hier wird sexuelle Belästigung vornehmlich als Schuld des Mannes, dort Ehebruch meist als Verfehlung der Frau apostrophiert. Im Orient dominiert religiös fundierte Frauenverachtung, in unseren Medien wird vielfach ein Matriarchat und unverhohlener Männerhaß kolportiert. Der Islam bindet Frauen ans Haus, bei uns hingegen herrscht eine gleichmacherisch-schematische, die Frau letztlich aus der Familie herausdrängende Quotenideologie mit einer Diskriminierung der erziehenden Frau als unterbelichtetem "Hausmütterchen".

Wie immer man es jedoch ideologisch wenden mag: Letztlich kreist die Überlebensfähigkeit einer Kultur um die Frage ihrer Reproduktionsfähigkeit - ein nicht zu leugnendes Manko unserer stagnierenden Zivilisation in Europa. Gerade dies läßt auch die vom Autor ungestellte Frage nach einer der westlich-feministischen Selbstgewißheit inhärenten, nicht nur auf fehlende Kitas reduzierbaren Pathologie gerechtfertigt erscheinen.

In größerem Kontext gesehen liegt es nahe, die globale Frontstellung zwischen "Westen" und "Islam" als weitere Stufenfolge in Hegels dialektischem Grundschema von These und Antithese anzusehen. Wie sich eine Synthese dieser globalen dialektischen Frontstellung einmal manifestieren wird, bleibt freilich vorerst dahingestellt; jedenfalls ist ein vorzeitiges "Ende der Geschichte", wie es Francis Fukuyama (in Anlehnung an Hegel) postuliert, mitnichten zu konstatieren.

Zudem ist die vorliegende Darstellung insoweit unvollständig, als auch in anderen Kulturkreisen - nicht zuletzt im Westen - Bestrebungen auszumachen sind, welche einer Rückkehr des Religiösen, einer fundamentalen Kritik an hypertrophiertem Modernismus und Libertinismus oder an zeitgeistigen, nicht zuletzt in der Aufklärung wurzelnden Fehlentwicklungen das Wort reden. Aktuelle Beispiele wie etwa der Gesprächsband "Erinnerung und Identität" von Johannes Paul II. oder das jüngst erschienene Werk "Okzidentalismus. Der Westen in den Augen seiner Feinde" von Ian Buruma und Avishai Margalit belegen dies eindrücklich.

Des weiteren hätte man sich - bei aller berechtigten Kritik an islamischen Zuständen - der Ausgewogenheit halber zum Totalitarismuspotential in modernistisch-diesseitigen "Zivilreligionen" und Ideologien - wie etwa der Französischen Revolution, der Aufklärung (vergleichbar hierzu etwa Adornos berühmtes Diktum vom "Totalitarismus der Aufklärung") oder dem Sozialismus - ebenso dezidierte Ausführungen gewünscht. Genauso hätte andererseits neben der berechtigten Kritik an aggressiven Auswüchsen des Fundamentalismus auch das Gerechtigkeit oder Friedfertigkeit stiftende Potential von Religionen der Erwähnung bedurft.

Fritz Hoevels, Hrsg.: Jaya Gopal. "Gabriels Einflüsterungen" - eine Demaskierung des Islam. Ahriman-Verlag, Freiburg 2004, 467 Seiten, broschiert, 24,80 Euro


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