© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Udo di Fabio
Der Provokateur
von Georg Pfeiffer

Udo di Fabios Buch "Die Kultur der Freiheit" läßt den Blätterwald rauschen wie derzeit kaum ein anderes. "Konservative Provokation" titelt etwa Die Welt, von "Furor" spricht beispielsweise die Süddeutsche Zeitung.

Dabei ist der 1954 im Ruhrgebiet geborene Sproß italienischer Einwanderer, Vater von vier Kindern, eigentlich kein heißblütiger Politiker, sondern ein kühler Jurist, gehört heute gar dem ehrwürdigsten aller deutschen Gerichte, dem Bundesverfassungsgericht, an. Doch auch der Weg an die Spitze der deutschen Justiz war ihm anfangs nicht vorgezeichnet. Di Fabio begann eine Laufbahn als Kommunalbeamter im Mittleren Dienst. Nebenher erwarb er das Abitur an der Abendschule und startete dann eine Blitzkarriere. Er studierte Rechtswissenschaft und Gesellschaftskunde, wurde in beiden Fächern promoviert und habilitierte als Jurist zum Thema "Risikoentscheidungen im Rechtsstaat". Seit 1993 lehrte er an den Universitäten Münster, Trier, München und Bonn. Schließlich wurde der parteilose Jurist im Jahre 1999 auf Vorschlag der Union zum Bundesverfassungsrichter gewählt. Er war damals mit 45 Jahren der jüngste Richter im Kollegium.

Der Zufall der Geschäftsordnung hat ihm zahlreiche wichtige Fälle zugespielt, in denen er als Berichterstatter den Prozeßstoff aufzuarbeiten, die mündliche Verhandlung und das richterliche Votum vorzubereiten hatte. Der Streit um das Zuwanderungsgesetz gehört ebenso dazu wie das NPD-Verbotsverfahren, der Streit um den Europäischen Haftbefehl und um die Fortsetzung des Visa-Untersuchungs-Ausschusses. Am Donnerstag dieser Woche stand das Verfahren um die Auflösung des Bundestages und die Anberaumung von Neuwahlen zur Entscheidung an. Seine Verhandlungsführung wird als temperamentvoll beschrieben. Er scheut sich nicht, politischen Machtträgern die Leviten zu lesen, wie im Urteil zum Europäischen Haftbefehl und über das Zustandekommen des Zuwanderungsgesetzes.

Di Fabios dritte Karriere als Publizist läßt den Ehrgeiz erkennen, über den unmittelbaren Auftrag als Verfassungsrichter hinaus auf die Richtung und die Grundlagen unserer Kultur Einfluß zu nehmen sowie populäre Irrtümer und Verkrustungen im Denken zu überwinden. Etliche Publizisten und Essayisten machen sich derzeit Gedanken über den Konservatismus. Daß di Fabio dabei ausgerechnet die "postfaschistische" und "reaktionäre" Adenauerzeit, in der die Deutschen noch nationale Tugenden pflegten und einen vitalen Selbstbehauptungswillen hatten, als goldenes Zeitalter vorstellt, verstört vor allem das juste milieu, etwa in Gestalt Heribert Prantls, Ressortleiter Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung, der "Kultur der Freiheit" prompt eine Titelerweiterung zu "Kultur der JUNGEN FREIHEIT" empfahl. Das war wohl als eine ausgesuchte Bosheit gemeint, gleichwohl ist Prantl hier ein Zufallstreffer gelungen - ein Kompliment für beide Seiten.


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