© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Mit Kirchhof wächst die Hoffnung
Wahlkampf I: Mit Merkels Kompetenzteam gewinnt die Union die Initiative zurück / Kirchhof als Minister gesetzt / Stoibers Stellung geschwächt
Paul Rosen

In der CDU wächst wieder die Hoffnung, daß es am 18. September für die bürgerlichen Parteien knapp reichen könnte. Zwar weisen die jüngsten Umfragen auf Verluste der Partei in den östlichen Bundesländern hin, aber deutschlandweit liegen Union und FDP weiter bei rund 50 Prozent. Die Ost-Attacken von CSU-Chef Edmund Stoiber scheinen im Westen zur Mobilisierung der eigenen Wähler beigetragen zu haben. Und mit der Berufung des ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof in ihr Kompetenzteam hat Kanzlerkandidatin Angela Merkel einen größeren Erfolg im laufenden Wahlkampf erreicht.

Noch am Montagmorgen der vergangenen Woche sah die Lage für die Kanzlerkandidatin alles andere als rosig aus. Die deutsche Öffentlichkeit regte sich über Stoibers "Frustrierten"-Äußerungen auf. Auch der brandenburgische Innminister Jörg Schönbohm wurde weiter für sein Gerede über die erzwungene Proletarisierung in der ehemaligen DDR scharf kritisiert. Und Merkel hatte nach Angaben des früheren Stoiber-Wahlkampfmanagers Michael Spreng noch am Montagmorgen keinen externen Wirtschaftsexperten für ihr Team. Angefragt hatte sie offenbar vergeblich beim früheren Siemens-Manager Heinrich von Pierer. Auch der ehemalige Staatssekretär und Industrie-Lobbyist Ludolf von Wartenberg war im Gespräch gewesen. Aber eine Einigung kam nicht zustande.

Buchstäblich in letzter Minute gelang es Merkel, Kirchhof zu gewinnen und damit dem drohenden Desaster zu entkommen, ein Team nur aus bekannten Parteigesichtern zu haben. Der parteilose Jurist avancierte sofort zum Star ihres Kompetenzteams. Kirchhof steht für einige konservative Positionen, die bei der CDU schon seit langen bestenfalls noch im Hintergrund vertreten werden.

Der heute als Professor in Heidelberg tätige Kirchhof erinnerte schon bei seiner Vorstellung daran, daß für ihn die Förderung der Familie die größte Bedeutung hat. Geschickt umschiffte er alle Klippen. So hatte Kirchhof in früheren Interviews die von der Union geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer als familienfeindlich bezeichnet. Das sei jetzt beschlossene Sache, sagte Kirchhof bei der Vorstellung. Aber es gebe vieles, was er zur Förderung der Familien noch tun könne. Kirchhof wies auf einen Aspekt hin, der so noch von keinem CDU-Politiker zu hören war: Durch den Mangel an Kindern komme es zu einem massiven Einbruch bei der Nachfrage nach Konsumgütern. Das soll heißen: Für Kinder, die erst gar nicht geboren werden, braucht man kein Essen, keine Kleidung und kein Spielzeug. Kirchhof prangerte auch das seiner Ansicht nach viel zu komplizierte Steuerrecht an, das den Namen Recht teilweise nicht mehr verdiene.

Merkel nutzte die neue Lage sofort für ihre Zwecke aus. In Wahlkampfreden ließ sie durchblicken, daß sie Kirchhof nach dem Wahlsieg auf jeden Fall in das Bundeskabinett holen wolle. Damit reduzierte sie den Spielraum für Stoiber, der nach wie vor offenläßt, ob er nach dem 18. September nach Berlin geht oder in München bleibt. Aber falls Stoiber doch in die Hauptstadt kommen sollte, wird es für ihn eng. Theoretisch hat er als Vorsitzender einer Koalitionspartei natürlich das Recht, auf ein Ministeramt zuzugreifen, solange der Posten nicht von der FDP besetzt wird. Mit der festen Plazierung von Kirchhof durch Merkel ergibt sich für den Bayern eine neue Situation. Da Merkel sich festgelegt hat, ist der Traum von einem Superministerium Finanzen und Wirtschaft schon vor der Wahl ausgeräumt.

Es bleibt für Stoiber natürlich die Option auf das Außenministerium. Doch da Merkel den saarländischen Ministerpräsidenten Peter Müller als Wirtschaftsminister im Kabinett sehen will, werden für die FDP die guten Plätze knapp. Die FDP würde in diesem Fall darauf bestehen, das Außenministerium zu besetzen. Würde diese Konstellation Realität, wäre Stoiber an die Seite gedrängt. Selbst ein klassisches Ressort wie das Justizministerium käme für ihn nicht Frage, weil es mit zu wenig Macht verbunden ist.

Auch CSU-Politiker geben inzwischen zu, daß für Stoiber eine schwierige Lage entstanden ist und Merkel es geschickt verstanden hat, eine für sie günstige Situation auszunutzen. So wie sie es geschafft hat, den Finanzexperten Friedrich Merz und auch den Sozialexperten Horst Seehofer, die ihr beide nicht paßten, loszuwerden, bastelt sie jetzt an einer Lage, die Stoiber zwingen könnte, in München zu bleiben und damit nur noch am Rande einer künftigen bürgerlichen Regierung zu stehen.

Die übrigen Mitglieder des Kompetenzteams waren keine große Überraschung. Der frühere CDU-Chef Wolfgang Schäuble steht für die Außen- und Sicherheitspolitik. In Berlin heißt es aber immer wieder, daß Merkel den bei ihr nicht in hohem Ansehen stehenden Schäuble nach der Wahl auf den Posten des Bundestagspräsidenten abschieben will. Eine der engsten Merkel-Vertrauten ist die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan, die für das Thema Bildung steht. Ein Gewinn für das Kompetenzteam ist die niedersächsische Sozialministerin Ursula von der Leyen. Die CSU-Politiker Günther Beckstein und Gerda Hasselfeldt galten schon lange als gesetzt. Beckstein spielt eine starke Rolle, Hasselfeldt gilt als schwach.

Kein Kandidat aus den östlichen Bundesländern

Einen Repräsentanten aus den neuen Ländern, der nach der Wahl ins Kabinett genommen werden könnte, fand die Kanzlerkandidatin der Union nicht. Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus gab zwar seinen Namen für das Team her, will aber nicht in die Bundesregierung gehen. Aus machtpolitischen Gründen kam noch Norbert Lammert in das Team. Der Chef der mächtigen CDU-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen soll Kulturminister werden.

Da die Umfragen weiter eine Mehrheit für die Bürgerlichen ausweisen und Kanzler Gerhard Schröder den Überraschungscoup für den Wahlkampf, den er angeblich noch in petto hat, bisher nicht landete, werden vom CDU-Parteitag am Wochenende in Dortmund keine großen Überraschungen erwartet. Merkel dürfte gefeiert werden. Interessant wird nur sein, wie Stoibers Grußworte aufgenommen werden. Lassen die CDU-Delegierten den Bayern abblitzen, wie sie das auf dem Leipziger Parteitag taten, kann sich Stoiber seine Kabinettspläne endgültig abschminken.


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