© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

An hehren Zielen ist kein Mangel
Bevölkerungspolitik: Parteien präsentieren Vorschläge für mehr Nachwuchs / 7. Familienbericht vorgestellt
Josef Hämmerling

Mehr Geld für mehr Kinder. So lautet das Ergebnis des 7. Familienberichts, den die Familien-Sachverständigenkommission in der vergangenen Woche der Bundesregierung vorlegte. So schlagen die sieben Wissenschaftler, angelehnt an das Vorbild Skandinavien, die Einführung eines Elterngeldes vor. Dies soll bei rund zwei Drittel des letzten Einkommens desjenigen Elternteils liegen, das für die Erziehung der Kinder seine Erwerbstätigkeit unterbricht. Dadurch könne der bisherige Lebensstandard weitestgehend erhalten bleiben. Kommissionsvorsitzender Hans Bertram wies darauf hin, daß auch Frankreich und Großbritannien ein derartiges Modell einführen wollen.

Als Beispiel für eine erfolgreiche Umsetzung dieses Elterngeldes nennt der Familienbericht Dänemark. Dort gibt es nach einem 18wöchigen Mutterschutz eine 46wöchige sogenannte Elternzeit. Hinzu kommen noch weitestgehend vom Staat bezahlte kommunale Einrichtungen zur Kinderbetreuung. Inzwischen sind in Deutschlands nördlichem Nachbarstaat rund die Hälfte aller Ein- und Zweijährigen in sogenannter Tagespflege.

Eine ähnliche Regelung mit einer Maximalauszahlung von 1.800 Euro plant nun auch Familienministerin Renate Schmidt, die sich durch den Familienbericht bestätigt fühlt. Die SPD-Politikerin hegt die Hoffnung, daß sich auch hochqualifizierte Ehepaare durch eine recht kurze Auszeit im Beruf eher für ein Kind entscheiden, als dies bislang der Fall ist. Besonders, wenn gewährleistet ist, daß auf die Kinder danach in einer Tagespflegestelle aufgepaßt wird.

Vor einer Einführung des Elterngeldes, das aus einer zu bildenden einheitlichen Familienkasse gezahlt werden soll, müssen aber erst einige bürokratische Hürden übersprungen werden. Aufgrund der Verteilung der Zuständigkeiten auf Bund, Länder und Kommunen wird dieser Vorschlag nach Angaben der Ministerin nämlich nicht schnell umzusetzen sein.

Geld erreicht die Bürger häufig gar nicht

Kritik übten die sieben Wissenschaftler an der bisherigen in Deutschland geltenden Regelung. "Die finanziellen Aufwendungen, die die Bundesrepublik an staatlichen Leistungen für Familien aufwendet, haben jedenfalls nicht dazu beigetragen, daß junge Erwachsene wie in Frankreich, Dänemark, Schweden, den Niederlanden und Großbritannien Kinder als Teil einer gemeinsamen Lebensplanung begreifen." Und dabei würden in Deutschland pro Jahr rund 170 Milliarden Euro für Kinder- und Familienförderung ausgegeben, die allerdings entweder in die falschen Kanäle flössen oder die Bürger gar nicht erst erreichten.

Enttäuscht zeigte sich der Geschäftsführer des Bundesfamilienverbandes, Marcus Ostermann, von den Vorschlägen, die er gegenüber dem Hamburger Abendblatt als keinen wirklichen Schritt nach vorn bezeichnete. Das gelte besonders für die vorgesehene Laufzeit von nur einem Jahr. "80 Prozent der Eltern beanspruchen jedoch mehr als ein Jahr Elternzeit. Wie sollen sie die übrigen ein oder zwei Jahre überbrücken? Das Erziehungsgeld soll ja abgeschafft werden." Falsch sei auch die im Familienbericht getätigte Aussage, daß genügend Geld im Fördertopf liege, dies nur falsch verteilt werde. "Doch das ist ein Irrtum. Der Topf ist nicht groß genug."

Sehr hart ging die Bundesvorsitzende der Frauen Union, Maria Böhmer, mit der Bundesregierung ins Gericht. Sie kritisierte besonders, daß nach dem Familienbericht die finanzielle Förderung der Familien stark verbesserungswürdig sei und zudem ein Armutsrisiko für Kinder und Jugendliche bestehe. Sieben Jahre Rot-Grün hätten nur dazu geführt, daß derzeit rund eine Million Kinder in der Sozialhilfe leben, kritisierte Böhmer, die auch stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist.

Als "Armutszeugnis" für die amtierende Bundesregierung bezeichnete die familienpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Ina Lenke den Familienbericht. Der rund 500 Seiten dicke Bericht zeige, daß Rot-Grün mit dem bei Amtsantritt getätigten Versprechen gescheitert sei, für eine "bedarfsdeckende und kostengünstige" Kinderbetreuung zu sorgen. Das gelte besonders für die Betreuung der zwei- und dreijährigen Kinder, bei denen die Familien auf sich selbst gestellt seien.

Im Hinblick auf die jetzigen Erklärungen der Ministerin erklärte Lenke, die Bundesregierung habe schon 1998 "unfinanzierbare Versprechungen" gemacht. Und dies wiederhole sich im aktuellen Wahlkampf. Zwar sei das Elterngeld grundsätzlich eine gute Idee, derzeit jedoch nicht finanzierbar, so die FDP-Politikerin.

In ihrer Politik bestätigt sieht sich dagegen die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Nicolette Kressl. So beurkunde der Bericht "in eindrucksvoller Weise den von der Regierungskoalition in den letzten Jahren eingeleiteten Paradigmenwechsel in der Familienpolitik". Dies zeige sich auch darin, daß er "auch die von uns vorgesehene Einführung eines lohnbezogenes Elterngelds anstelle des bisherigen Erziehungsgeldes" befürworte.

Frauen Union kritisiert Bundesregierung

Ebenfalls positiv für die Politik der Bundesregierung wertete die kinder- und familienpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Ekin Deligöz, den Familienbericht. Als "beachtlich" bezeichnete sie die "eindeutige Diagnose, daß in Deutschland die allgemeinen Finanztransfers für Familien ausreichend ausgebaut sind". Um die Rahmenbedingungen für Familien weiter zu verbessern, müsse jetzt "eine hochwertige Infrastruktur für Kinder und Familien aufgebaut sowie eine neue Zeitpolitik für Familien etabliert werden". Die Diskussion um ein Elterngeld ist nach Ansicht der Grünen-Politikerin allerdings verfrüht. Vielmehr habe das Konzept erst dann Sinn, wenn genügend Kinderbetreuungsplätze vorhanden seien und deren Qualität stimme.


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