© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Pankraz,
Horiyoshi III. und die Kunst der Tätowierung

Viele Ärzte warnen vor der sprunghaft steigenden Sucht nach Tätowierungen und sogenannten "Piercings". Fast die Hälfte aller 19- bis 24jährigen hierzulande ist inzwischen tätowiert, bzw. gepierct, darunter deutlich mehr Mädchen als Jungen. Der "Hautschmuck", sagt das Ärzteblatt, werde oft unsachgemäß appliziert und berge Infektionsgefahr und Nervenschock. Letztlich sei die ganze Mode ungesund.

Ungesund mag sein, vor allem aber ist sie unästhetisch, findet Pankraz. Es gibt doch kaum körperlich Schöneres als eine reine, glatte und unbeschädigte Haut, la peau douce, wie die Franzosen sagen, die "süße Haut". Kaum etwas verweist intensiver, persönlicher auf den Besitzer als solche Haut. Sie ohne Not mit fremden Botschaften vollzupflastern wie eine Litfaßsäule, grenzt an Masochismus, gerade bei jemand, der mit "Hautschmuck" Appetit auf sich machen, liebende Aufmerksamkeit auf sich ziehen will.

Außerdem wechselt bekanntlich nichts schneller und öfter als die Moden, auf die die Botschaften der Litfaßsäule reagieren wollen - und dann steht der Tätowierte und Gepiercte belämmert da. Denn Tätowierungen und Piercings zielen ja gerade auf Dauer, man kann sie nur schwer wieder loswerden und nur unter neuen Beschädigungen der Haut, unter neuen Schmerzen oder Umständlichkeiten. Die sogenannte "Schleifscheibe", das moderne Gerät zum Entfernen von Tätowierungen, ist eine ziemlich ungemütliche Maschine.

Dabei ist noch gar nicht bedacht, daß sich im Falle von Tätowierung nicht nur die Botschaften, sondern auch die Litfaßsäulen selbst dauernd ändern. Sie werden älter, sie werden dicker oder dünner, sie wandeln sich in der Seele; der "Schmuck" aber bleibt derselbe und gerät deshalb oft genug zum Ärgernis für den Träger. Es gibt einen komischen Film mit Jean Gabin, dem einst ein unbekannter Künstler eine Tätowierung auf den Rücken geätzt hat. Inzwischen ist der Künstler weltberühmt geworden, und die Kunsthändler sind nun wie wild hinter Gabin her, um ihm - für viel, viel Geld natürlich - die Haut vom Rücken abzuziehen.

Im Grunde paßt Tätowierung überhaupt nicht in die von Modewellen und ästhetischen Reizen bewegte Spaßgesellschaft. An ihrem Ursprung, im pazifischen Ozean, bei den Polynesiern, auf den Marquesas-Inseln, war sie Totem, Stammes- oder Rangabzeichen, Abschreckbild gegen böse Geister, auf jeden Fall eine todernste Angelegenheit. Man tätowierte sich, weil man nackt herumlief, keine Kleider trug, die man als Totem oder sonstiges Identitätsmerkmal hätte herausputzen können.

Später, im Westen, wurde das "Tattoo" zum Zeichen der Ausgegrenzten und Unterdrückten und danach folgerichtig zum Banner des Aufruhrs und der Revolution. Die Herrschenden ritzten es ihren Sklaven ein wie das Brandzeichen ihrem Vieh. Im Gegenzug tätowierten sich die Revolutionäre, um zu bekräftigen, daß sie einer zum Kampf verschworenen Gemeinschaft angehörten, die ein für allemal galt und nur durch den Tod aufgelöst werden konnte.

Auch gewöhnliche Verbrechergangs markierten sich oft so. Bestimmte Tätowierungen wurden zu Codes von Geheimsprachen, die man lesen lernen und auflösen können mußte. Im vormodernen Japan erreichte die Strategie der politischen Codierung mittels Tattoo einen solchen Grad, daß die wechselnden Regierungen vollkommen die Übersicht verloren und schließlich die sogenannte Meji-Revolution, die in dem Inselreich das Industriezeitalter einleitete, jede Form von Tätowierung verbot, unter Androhung strengster Sanktionen im Übertretungsfall. Das war 1870, und erst 1948 ist dieses Verbot wieder aufgehoben worden.

Seitdem hat sich in Japan eine (nach wie vor von Tabus umstellte und von der medialen Öffentlichkeit faktisch ignorierte) Tätowier-Kultur herausgebildet, die ganz einzigartig ist. Sie bedient weder Gesetzlose und Empörer, noch biedert sie sich, wie die Tätowierer und Piercer in Europa und den USA, der Schmuck- und Modeindustrie an. Vielmehr stellt sie sich unter die Regeln des Zen-Buddhismus und ahmt eifrig dessen traditionelles Meister-Schüler-Zeremoniell nach.

Es gibt in der Szene hochberühmte Tätowiermeister, die ihre Arbeit in strikter, aus Olims Zeiten überkommener Handarbeit verrichten und deren "Handschrift" bis in die feinsten Details hinein für den Kenner identifizierbar und ausdeutbar ist. Die "Schüler" dieser Meister lassen sich nicht nur von diesen über und über ätzen und piercen, so daß sie am Ende tatsächlich wandelnden Bilderbüchern gleichen, sie erlernen dabei ihrerseits sämtliche meisterlichen Techniken und Tricks einschließlich der uralten Mythologien, denen die Bildergeschichten ihrer Meister verpflichtet sind und die sie dann ihrerseits weitergeben, nachdem sie endlich selber zu Meistern aufgestiegen sind.

Horiyoshi III. ist im Augenblick der absolute Zen-Tätowier-Meister Japans, und Pankraz räumt gerne ein, daß zwischen den Schöpfungen dieses Heroen und den Piercings, die deutsche Halbsternchen auf Fernseh-Partys vorzeigen, ein abgrundtiefer Niveau-Unterschied besteht. Horiyoshis Kunstwerke sind schlanke, stramme Jünglinge, denen die Ätz-Bilder des Meisters (Drachen, Kirschblüten, Kois) wie schaumgeboren um den Leib wachsen. Man sieht sie in Posinghosen bei speziell für sie arrangierten "Events", und da fällt es natürlich leicht, spontan an eine spezielle Ästhetik des Tätowierens und Piercens zu glauben. Aber ungesund ist es wahrscheinlich trotzdem.

Meister Horiyoshi III., ein älterer, etwas faltiger Herr, ist stets nur voll angezogen zu sehen. Doch auch er ist natürlich einstmals über und über geätzt und gepierct worden. Wie würde er sich heute wohl in Posinghose ausnehmen? Nein, diese Art von Kunst ist allzu vergänglich, um wirklich Kunst zu sein. Lieber bleibt man bei der glatten Haut.


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