© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Mit Petrus auf du
Kino: Danny Boyles Kinderfilm "Millions"
Claus-M. Wolfschlag

Danny Boyle gehört seit 1996, dem Jahr seines cineastischen Drogen-Exzesses "Trainspotting", zu den Erfolgsregisseuren des jungen britischen Kinos. Sein Markenzeichen scheint zu sein, daß er keines hat. Jeder seiner Filme ist ganz anders aufgenommen und inhaltlich angelegt. Es scheint fast, als wollte Boyle mit jedem neuen Projekt in einen neuen Kosmos der Möglichkeiten vordringen.

Das ist die pure Lust des Filmemachers an seiner Arbeit, und diese überträgt sich auf die Zuschauer. Nach der auf den Massengeschmack zugeschnittenen Liebeskomödie "Lebe lieber ungewöhnlich" (1997) mit Cameron Diaz, dem Exotik-Thriller "The Beach" (1999) mit Leonardo DiCaprio und dem mit hektischer Wackelkamera und Videotechnik gedrehten Zombiefilm "28 Days later" (2002) folgt nun ein Kinderfilm, der in die verzauberte, ja mystische Sichtweise eines kleinen Jungen entführt: eine Sichtweise, die den Erwachsenen in ihren Alltagsbestrebungen zumeist völlig verlorengegangen ist. Es ist die Welt des kleinen Damian (Alexander Nathan Etel) und seiner Heiligen.

Damian und sein größerer Bruder Anthony (Lewis Owen McGibbon) ziehen nach dem Tod der Mutter mit ihrem Vater (James Nesbitt) in ein neues Haus. Damian wird dort oft von Erscheinungen heimgesucht. Es begegnen ihm dann diverse Heilige der katholischen Kirchengeschichte, Petrus und Josef beispielsweise, mit denen er sich unterhält und die er stets um Rat fragt. So entwickelt er es bald zu seiner Lebensmaxime, stets Gutes tun und den Armen helfen zu wollen.

Gerne spielt der Junge neben dem Bahngleis in einer selbstgebauten Karton-Hütte. Eines Tages fällt eine Sporttasche auf diese Zufluchtsstätte. Damian öffnet sie und findet darin Unmengen von Geldnoten: insgesamt über 230.000 Pfund. Er zeigt das Geld seinem Bruder, der es profan verwenden will. Anthony möchte es investieren und erkauft sich zudem Gefälligkeiten von Schulkameraden.

Damian hingegen möchte mit dem Geld allein gute Werke vollbringen, lädt Stadtstreicher zum Festmahl ein, wirft Mormonen Geldbündel in den Briefkasten und spendet in der Grundschule 1.000 Pfund für ein Wasserprojekt in Afrika, zu dem seine Mitschüler nur zwei Penny beitragen können.

Das macht schließlich die Schulleitung und damit auch Damians Vater aufmerksam. Der Vater nimmt das Geld an sich und versucht damit Hypothekenschulden begleichen, doch auch ein düsterer Gangster, für den die Tasche eigentlich bestimmt war (das Geld stammt aus einem Raubüberfall), hat bereits die Fährte aufgenommen.

Nachdem Damian beschlossen hat, daß Geld das Leben nur komplizierter macht, erscheint ihm seine tote Mutter. Er fragt sie, ob sie nun eine Heilige geworden sei. Die Mutter antwortet, daß das schwer sei, denn dazu müsse man etwas Außergewöhnliches vollbracht haben. Und sie fügt nach, daß ihr dies aber mit Damians Geburt gelungen sei: Sie hat einen neuen Heiligen geboren ...

"Millions" ist ein außergewöhnlicher Kinderfilm voller Fantasie, der sich mit der Frage von Materialismus und Moral, von Alltag und Mysterium auseinandersetzt. Auf jeden Fall ist er ebenso für Erwachsene konzipiert, zeigt er einem doch die ganz andere, verquer erscheinende Sichtweise eines Jungen, der unserem Sicherheits- und Konsumdenken gänzlich enthoben scheint. Oft stockt einem der Atem aufgrund der naiven Gutgläubigkeit des Jungen, der nichts Böses in der Welt vermutet und keinerlei Schutzinstinkte vor den Gefahren des Daseins kennt.

Er muß dann stets von seinem größeren Bruder beschützt werden, der ganz irdisch agiert und bereits mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen steht. Diese Tatsachen werden von Boyle ausgesprochen amüsant inszeniert, so zum Beispiel wenn die ach so asketische Mormonengruppe der skeptischen Polizei mit Engelszungen zu erklären versucht, weshalb lauter neueste Elektro- und Hifi-Geräte das Haus füllen. Oder wenn schmatzende und schmarotzende Stadtstreicher sich in einem Restaurant den Bauch vollschlagen und ganz am Ende erst fragen, wer das eigentlich bezahlt. Dieser Humor, bezaubernde Schauspieler und eine zunehmend rasante Dramatik machen den Film interessant und sehenswert

Foto: Damian (Alexander Nathan Etel): Stets Gutes tun


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen