© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/05 02. September 2005

Agora mit Tiefgarage
Dem berüchtigten Berliner Schlamm zum Trotz: Grünes Licht für den Wiederaufbau des Schloßareals
Ekkehard Schultz

Am 4. Juli 2002 gab eine große und fraktionsübergreifende Mehrheit im Deutschen Bundestag dem Plan einer Rekonstruktion der barocken Fassaden des 1950 von SED-Chef Walter Ulbricht gesprengten Berliner Stadtschlosses ihre Zustimmung. Für das Innere des Gebäudekomplexes sah der Beschluß eine Mischung aus privat und öffentlich genutzten Einrichtungen vor, kurz Humboldt-Forum genannt. Seine Umsetzung wurde allerdings von einer erfolgreichen Prüfung des architektonischen und finanziellen Konzeptes durch unabhängige Experten abhängig gemacht.

Nun liegt seit einigen Tagen das Ergebnis der von einer Arbeitsgemeinschaft privater Gutachter (BulwienGesa AG / Berendes & Partner Consulting GmbH / Architekturbüro Hemprich Tophof) erstellten Machbarkeitsstudie vor, die am vergangenen Mittwoch von Bundesbauminister Manfred Stolpe, Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (beide SPD) und Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) der Öffentlichkeit präsentiert wurde.

Die Gutachter halten die Konzeption aus historischer Fassade und moderner Raumaufteilung im Inneren grundsätzlich für umsetzbar. Auch das Finanzierungsmodell, welches eine langfristig angelegte Abbezahlung der Investitionskosten durch die öffentliche Hand bei gleichzeitiger Organisation und Betrieb der Gesamtanlage durch private Partner vorsieht, könne nach diesen Vorgaben realisiert werden.

Für eine erfolgreiche Umsetzung im Sinne der Vorlagen sei allerdings notwendig, daß die öffentlichen Interessen hinsichtlich der Architektur des Gesamtkomplexes sofort nach der Auswahl eines privaten Investors festgeschrieben und damit gesichert würden. So müsse der Investor verpflichtet werden, nach vertraglichen Vor­gaben der öffentlichen Auftraggeber einen internationalen Wett­be­werb auszuschreiben. Die Auswahl des Preisträgers dieses Wettbewerbs müsse gemeinsam von privatem Investor und öffentlicher Hand vorgenommen werden.

Siebzig Prozent der Gesamtfläche von rund 50.000 Quadratmetern sind zur öffentlichen Nutzung - unter anderem für die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die wissenschaftliche Sammlung der Humboldt-Universität sowie die Bestände der Zentral- und Landesbibliothek Berlin - vorgesehen. Zwischen diesen Sammlungen und der Bibliothek ist der Veranstaltungs- und Begegnungs­bereich "Agora" mit Theater, Kino, Konferenzbereichen, Museumsläden, Re­staurants und Cafés geplant. In einem weiteren, ausschließlich für private Interessenten vorbehaltenen Bereich, der rund 30 Prozent der Fläche umfassen soll, ist unter anderem die Errichtung eines Hotels und einer Tiefgarage vorgesehen.

Insgesamt werden die Kosten für die Fassaden-Rekonstruktion und den Bau des Humboldt-Forums von den Gutachtern auf rund 670 Millionen Euro geschätzt. Davon entfällt auf die Fassade ein Betrag von rund 80 Millionen Euro. Zwar hat sich der Schloßverein unter Wilhelm von Boddien bereit erklärt, diese Summe durch private Spenden aufzubringen, doch die Gutachter sehen diese Finanzierung als "nicht gesichert" an. Mögliche Mehrkosten könnten nach ihrer Auffassung auch durch die langfristig angelegte Bezahlung - über geschätzte drei Jahrzehnte - entstehen: Neben den nicht vorhersehbaren Zinsen sei auch zum Beispiel die Möglichkeit einer Abtretung der Nutzungsrechte von einem privaten Investor zu einem anderen nicht auszuschließen und berge daher Risiken.

Während Minister Stolpe bei der Vorstellung der Studie forderte, die "enormen Chancen", die die "Wiederbelebung des Schloßareals für Kultur, Wissenschaft und Dialog" biete, nunmehr unverzüglich zu nutzen und den Abriß des Palasts der Republik spätestens zum kommenden Winterbeginn ankündigte, verweisen Kritiker darauf, daß in der Kostenaufstellung keine Kalkulation für besondere Maßnahmen enthalten sei, welche die natürlichen Gegebenheiten des Baugrundes - den "berüchtigten Berliner Schlamm" - ausreichend berücksichtige. Zudem wird bemängelt, daß sich die Suche nach geeigneten privaten Nutzern für die größeren Flächen durchaus kompliziert gestalten könne. Tatsächlich ist bis heute weder ein ernsthafter Interessent für das Hotel noch für die Tiefgarage gefunden worden.

Foto: Minister Stolpe (l.), Bundestagspräsident Thierse mit einem Modell des Areals um den Schlossplatz


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