© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

Franz Beckenbauer
Kollege statt Kamerad
von Thomas Bachmann

Am 26. September 1965 suchte die deutsche Fußball-Nationalmannschaft im Stockholmer Rasunda-Stadion wieder einmal die Revanche für die leidvolle Niederlage gegen Schweden im WM-Halbfinale sieben Jahre zuvor. Nun, nach zwei vergeblichen Anläufen, sollte es endlich soweit sein. Die Auswahl von Helmut Schön ignorierte die Anregung des deutschen Botschafters, aus diplomatischer Rücksichtnahme auf Unentschieden zu spielen, und gewann mit 2:1. Den Spielzug, der schließlich zum Siegtreffer durch Uwe Seeler führte, leitete ein Debütant ein, der erst fünfzehn Tage zuvor zwanzig Jahre alt geworden war: Franz Beckenbauer.

Schon die zeitgenössischen Fußballexperten, damals wie heute Millionen zählend, wähnten in dem am 10. September 1945 in München geborenen Sproß eines Postbeamten die erste große Spielerpersönlichkeit nach Fritz Walter. Ausnahmsweise sollten sie sich nicht irren. Sowohl im Verein als auch mit der Nationalmannschaft hielt er in den folgenden Jahren nahezu alle Trophäen in Händen, die dieser Sport zu bieten hat. Fünf deutsche Meistertitel stehen in seiner Bilanz. Viermal wurde er deutscher Pokalsieger, dreimal gewann er den Europapokal der Landesmeister, einmal jenen der Pokalsieger, einmal den Weltpokal. Mit der DFB-Auswahl wurde er 1972 Europameister, 1974, die Krönung seiner Spielerkarriere, Weltmeister.

Den Höhepunkt seines öffentlichen Ansehens erlebte er jedoch erst sechzehn Jahre später. 1984 hatte er die unter Jupp Derwall vor sich hin dümpelnde Nationalmannschaft als Teamchef übernommen und führte sie nach durchwachsenen Anfangsjahren zum Gewinn der Weltmeisterschaft von 1990. Drei Monate vor dem eher geschäftsmäßig vollzogenen Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik jubelte Fußballdeutschland bereits ungeteilt.

Zum Mythos wurden die Helden von Rom allerdings genausowenig wie jene, die 1974 in München die Trophäe in die Luft gestemmt hatten. Der Abschied von den volkstümlichen Rahns, Tureks, Morlocks und Walters war längst vollzogen. Nach einer Übergangsgeneration mit Spielern wie Emmerich, Libuda, Held und Seeler stand Beckenbauer für einen neuen Typus, der der Mentalität der Fahrt aufnehmenden Bundesliga und dem neuen, mondänen Lebensgefühl der Bundesrepublikaner insgesamt eher gerecht wurde: professionell, sich selbst verwirklichend, mediengerecht, sicherlich auch voller Freude am Spiel, aber ohne Ader für alle Attitüden der verschworenen Gemeinschaft auf dem Rasen oder gar die Befrachtung des Fußballs mit volkspsychologischem Mehrwert. Was seine Ära von jener Fritz Walters trennte, hat Beckenbauer in einer seiner Autobiographien 1975 höchstselbst formuliert: "Er glaubte an Kameradschaft und Nationalehre. Für mich, und so dachten im Grund die meisten, mit denen oder gegen die ich spielte, ist eine Fußballmannschaft eine Interessengemeinschaft."


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