© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

Vier Jahre und 154 Millionen Euro später
"Kampf gegen Rechts": Die SPD-Fraktion scheitert mit dem Versuch einer Bilanz und sorgt sich statt dessen um die Zukunft
Marcus Schmidt

Am Ende der Konferenz sprach es eine Teilnehmerin doch noch aus. "Ich habe auch ein persönliches Interesse daran, daß die Projekte weitergehen", bekannte eine Frau aus dem Berliner Osten, die ihr finanzielles Auskommen als Sozialarbeiterin dem Civitas-Programm der Bundesregierung zu verdanken hat. Bis Ende 2006 ist die Finanzierung der von der rot-grünen Regierung im Jahr 2001 für den "Kampf gegen Rechtsextremismus" aufgelegten Programme Civitas und Entimon gesichert. Bis dahin werden rund 192 Millionen Euro in Projekte geflossen sein, mit deren Hilfe nach dem Willen von Rot-Grün der Rechtsextremismus unter Jugendlichen bekämpft und die Demokratie gefestigt werden soll. In den vergangenen vier Jahren sind bereits rund 4.000 Projekte mit 154 Millionen Euro unterstützt worden.

Wie es weitergeht mit den geförderten Projekten und den zahlreichen Mitarbeitern, wenn Ende 2006 die Finanzierung ausläuft, war am vergangenen Freitag Thema einer Konferenz der SPD-Bundestagsfraktion. Die Sorge um die (materielle) Zukunft, die in den Diskussionen der rund 200 Teilnehmern mit den anwesenden Fachleuten spürbar war, bestimmte die Veranstaltung "Vier Jahre Stärkung von Zivilgesellschaft und Demokratie" im Jüdischen Museum in Berlin weit mehr als die ursprünglich geplante Bilanz nach vier Jahren Entimon und Civitas.

Zunächst war es an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) - seit Anbeginn ein unkritischer Begleiter des "Kampfes gegen Rechts" -, eine positive Bilanz zu ziehen. Kritik an den millionenschweren Programmen ist seiner Ansicht nach nur dort berechtigt, wo es gilt, übermäßige Bürokratie bei der Verteilung der Mittel abzubauen. Vor allem müsse das Verfahren verbessert werden - natürlich bei Wahrung der Transparenz, sagte er und streifte damit einen neuralgischen Punkt, der den Programmen immer wieder vorgeworfen wird: daß durch sie direkt oder indirekt auch Organisationen subventioniert werden, die sich nicht unbedingt die Verteidigung der Demokratie auf ihre Fahnen geschrieben haben (JF 35 /05).

Thierse verbat sich jedoch jede "generelle Kritik" an den Programmen. CDU und CSU warf der wahlkämpfende Bundestagspräsident vor, sie hätten den staatlich alimentierten Kampf gegen den Rechtsextremismus nie gewollt. Dieser sei natürlich noch nicht am Ziel. Auch wenn es - nach immerhin vier Jahren und rund 154 Millionen Euro - "erste Erfolge" gebe, bestehe kein Anlaß, sich zurückzulehnen, sagte Thierse mit Verweis auf den Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag.

Doch folgt man Lorenz Kogel, der die "mobilen Beratungsteams" des Civitas-Programmes koordiniert, ist es gerade nicht Aufgabe von Civitas und Co., Einfluß auf die Parteienlandschaft zu nehmen. Die Erfolge der NPD in Sachsen könnten daher nicht als Scheitern der eigenen Arbeit gewertet werden. Die Verantwortung für den Einzug der NPD schob er den etablierten Parteien zu. Eine Diskussion, ob der Erfolg von NPD und DVU nicht auch etwas über die (Un)Wirksamkeit der Programme aussagt, blieb aus.

Zuvor hatte der Bielefelder Soziologe Wilhelm Heitmeyer den Weg vorgegeben und deutlich gemacht, daß es in erster Linie überhaupt nicht auf Wahlerfolge, sondern auf die Einstellungen der Bevölkerung ankomme. "Der Rechtsextremismus kann immer ohne Wahlerfolge leben, aber nie ohne die Einstellungen der Bevölkerung", sagte er. Und um diese stehe es nicht gut, wie er anhand seiner Theorie von der "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit", deutlich zu machen versuchte. Diese gegen Minderheiten gerichtete Menschenfeindlichkeit, für Heitmeyer Indiz für rechtsextremistische Einstellungen, sei tief in der Mitte der Gesellschaft verankert. Heitmeyers Schluß: "Der Großteil der Bevölkerung scheint alles andere als liberal zu sein".

Stiftungs-Gründung scheitert in letzter Minute

Um die Einstellungen der Bevölkerung nachhaltig zu ändern, reiche es nicht, sich auf die Jugend zu konzentrieren, wie es bei Entimon und Civitas der Fall ist. Gerade bei älteren Bevölkerungsschichten seien die kritisierten Einstellungen besonders weit verbreitet, redete er einer Ausdehnung der Programme über die Generationsgrenzen hinweg das Wort.

Heinz Lynen von Berg, der Leiter der wissenschaftlichen Begleitforschung zum Civitas-Programm, zeichnete ein weitaus differenzierteres Bild der Möglichkeiten und Wirkungen der Förderprogramme. Er kritisierte, daß die "normale" Sozial- und Jugendarbeit in Mitteldeutschland an Aufmerksamkeit verliere. Zudem rückte er die Maßstäbe zurecht, indem er den Rechtsextremismus nur als die Spitze eines Eisberges bezeichnete und forderte, "sich von der Fixierung auf den Rechtsextremismus zu lösen". Als Arbeitsfeld nannte er etwa die Probleme mit der Integration von Aussiedlern in Mitteldeutschland.

Wie nahe die Protagonisten des "Kampfes gegen Rechts" dem auf der Konferenz häufig beschworenen Wunsch waren, bei der Finanzierung ihrer Projekte und Förderprogramme unabhängig von Wahlen und Regierungswechseln zu werden, machte der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy deutlich. In der Woche vor der Landtagswahl in Nordhein-Westfalen hatte sich Edathy, der Vorsitzender des Arbeitskreises Rechtsextremismus der SPD-Fraktion ist, mit den Grünen bereits auf einen Gesetztesentwurf für die Gründung eine Stiftung geeinigt. Indes: Die Neuwahl bereitete dem Projekt ein schnelles Ende.

Daher wird es nun fürs erste nichts mit der Gründung einer finanziell gut ausgestatteten Stiftung, mit der der "Kampf gegen Rechts" in der Tat "verstetigt" werden könnte. Diese Entwicklung betrübt sicherlich nicht nur die bereits erwähnte Sozialarbeiterin aus dem Osten Berlins.

Foto: Berliner Großdemonstration am 9. November 2000: Am Anfang war der "Aufstand der Anständigen" Christsozialen hat sich blamiert


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