© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

Die Woche
Nach dem Spektakel
Fritz Schenk

Die wichtigste Schlagzeile lieferte der Montag: Auf der Betriebsversammlung des Wolfsburger VW-Werkes verkündete der Vorsitzende des Vorstands, Bernd Pischetsrieder, daß der Konzern 14.000 Arbeitsplätze streichen müsse, allein 10.000 davon in Deutschland. Das soll bei uns vor allem "sozial verträglich" ohne "betriebsbedingte Kündigungen", also durch Abfindungen und vorzeitigen Ruhestand geschehen. Das heißt, auf jenem Wege, der seit Jahren bei uns gegangen wird und die Sozialkassen an den Rand des Ruins geführt hat.

Das hätte ein Hauptthema des "TV-Duells" der Spitzenkandidaten dieses mit einem Trick herbeigeführten vorgezogenen Wahlkampfes sein müssen. Die Kernpunkte wurden jedoch ausgespart, was vor allem an den vier Fragestellern und Zeitnehmern lag. Schon die wichtigste Eingangsfrage an den Bundeskanzler unterblieb. Nämlich: Welche seiner Ziele könnte er gegen welche Widersacher in seiner Fraktion nicht mehr anpacken, wenn er seine Amtszeit voll ausfüllen würde? Die stellte ihm auch Angela Merkel nicht. Und die zweite: Was könnte und wollte er zügiger voranbringen, wenn er denn die Wahl gewinnen würde und vielleicht noch ein paar Kandidaten mehr in seine Koalition bekäme? Genauso unterblieb die Frage an Merkel, warum sie denn diesen gescheiterten Kanzler nicht zum Rücktritt gezwungen und erst dann eindeutig verfassungskonformen Neuwahlen zugestimmt hätte. So plätscherte denn das "Duell" dahin mit Schlagworten, die wir alle längst bis zum Überdruß kennen.

Schon am gleichen Abend und am Tag danach interessierte keinen Menschen mehr, was gesagt wurde und bei wem denn die Pfunde für richtungweisende Argumente gelegen hatten, sondern wer von den beiden Kontrahenten "besser angekommen" sei. Und da sahen jene reichlich blaß aus, die Merkel bisher auf die leichte Schulter genommen hatten.

Daß diese Frau, die Männer wie Kohl, Schäuble, Merz, Seehofer abserviert, zwei Generalsekretäre in die Wüste geschickt, Bundespräsidenten Horst Köhler und den Finanzexperten Paul Kirchhof aus dem Hut gezaubert, in der Hohmann-Affäre innerhalb weniger Tage ihre gesamte Fraktion und die Presse mundtot gemacht und dann auch Edmund Stoiber praktisch über Nacht in die zweite Reihe verwiesen hat, kein politisches Leichtgewicht ist, konnte doch längst jedem klar sein, der sich nicht selber Scheuklappen anlegt.

Und daß sie auch sonst nicht auf den Mund gefallen ist, sich vor einem Heilsprediger wie Gerhard Schröder nicht zu verstecken braucht, war und ist auch kein Geheimnis. Wie dünnhäutig Schröder inzwischen geworden ist, zeigt sich darin, daß er über Kirchhof jetzt nur noch als den "Professor aus Heidelberg" spricht - über einen Mann, den Schröder früher selber in wichtigen Expertengremien geschätzt hatte.

Aus dem ganzen Umfragespektakel interessieren eigentlich nur jene rund vierzig Prozent der Befragten, die Merkel einen solchen Auftritt nicht zugetraut und daher einen eher besseren Eindruck als vorher von ihr hatten. Ob sich das allerdings in Wählerstimmen ummünzt, bleibt abzuwarten. Insgesamt wurden in der Debatte die Bilder mit Grünstiften gezeichnet und verschwiegen, daß nach dem 18. September vor allem Rotstifte gefragt sein werden. Doch Wahrheiten erwartet in Wahlkämpfen schon lange niemand mehr.


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