© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

Wahlkampf mit lokalen Wohltaten
Japan: Vorgezogene Unterhauswahlen wegen gescheiterter Post-Privatisierung / Ausgang wird spannend
Albrecht Rothacher

Noch überraschender als Deutsch land kam Japan zu Neuwahlen. Anfang August fielen die Post-Privatisierungsgesetze von Premier Junichiro Koizumi nach einer Rebellion in den eigenen Reihen im Oberhaus durch. Der zürnende Premier, der damit eine Vertrauensfrage verbunden hatte, ließ das Unterhaus auflösen, das seiner Vorlage im Juli nur knapp zugestimmt hatte. Die Neuwahlen setzte er für den 11. September an.

Zur Überraschung aller Experten, kam der medial dramatisch zelebrierte Befreiungsschlag beim Wahlvolk zunächst gut an - die Umfragewerte schnellten auf 53 Prozent hoch. Doch nun hat auch die Opposition Tritt gefaßt und schilt Koizumi "diktatorischen Verhaltens", zumal seine Taktik, die 37 Parteirebellen des Unterhauses aus der regierenden Liberaldemokratischen Partei (LDP) herauszuwerfen und in ihren Wahlkreisen neu rekrutierte "Killerkandidaten" gegen sie aufstellen, nicht überall gut ankommt.

Dazu hat die Opposition angesichts der desolaten Staatsfinanzen, der stagnierenden Wirtschaft, einer unpopulären Rentenreform und des ebenso unbeliebten Einsatzes japanischer Truppen im Irak nicht eben wenig Munition gegen den 63jährigen begnadeten Selbstdarsteller im Amt des Regierungschefs. Die Wahlen versprechen spannend zu werden. Dies ist in Japan, wo die LPD seit ihrer Gründung 1955 fast ununterbrochen herrscht, eher ungewöhnlich.

Milliarden für Bauwirtschaft durch öffentliche Schulden

Im aufgelösten Unterhaus hatte die national-konservative LDP seit 2003 mit 237 Sitzen - zu denen dann zwölf weitere durch Übertritte "Unabhängiger" hinzukamen - unterstützt vom Koalitionspartner New Komeito, der Partei der buddhistische Soka-Gakkai-Sekte, mit ihren 34 Mandaten eine solide Mehrheit unter den 480 Abgeordneten. Die größte Oppositionspartei, die Demokraten (DPJ), eine Mitte-Rechts Koalition aus abtrünnigen LDPlern und Rechtssozialdemokraten, kam nur auf 177 Sitze. Ihr Chef, Katsuya Okada (52), entstammt wie so viele Demokraten der mit der Bauindustrie liierten Tanaka/Takeshita-Fraktion der LPD.

Die Chancen der DPJ steigen diesmal auch, weil Sozialisten und Kommunisten in Japan nur noch ein Schattendasein führen und in vielen der 300 Direktwahlkreise nicht mehr antreten. Sie beschränken sich meist auf die nach dem Verhältniswahlrecht bestimmten Regionallisten, nach denen 180 Mandate vergeben werden. In den meisten Direktwahlkreisen wird es daher zu Zweikämpfen zwischen LDP- und DPJ-Kandidaten kommen - mit Ausnahme einiger verarmter Großstadtvorstädte, wo die LDP wegen der Häufung von Soka-Gakkai-Anhängern dem Koalitionspartner Komeito das Rennen überläßt.

In dem Duell zweier oft programmatisch kaum unterscheidbarer konservativ orientierter Kandidaten entscheidet dann weniger die telegene Ausstrahlung ihrer jeweiligen nationalen Parteispitze als die konkreten Wohltaten, die der Kandidat bisher aus dem fernen reichen Tokio für den Wahlkreis und seine lokalen Unterstützer lockergemacht hat, sowie die Vielzahl hilfreicher Dienstleistungen und Geschenke des Abgeordneten für seine Wähler. Dies kommt teuer und wird nur dann etwas billiger, wenn man den Wahlkreis vom Vater und möglichst auch Großvater ererbt hat. So lassen sich Loyalitäten leichter übertragen. 150 Abgeordnete betreiben die Politik schon als erbliches Familienunternehmen. So auch Koizumi, dessen Großvater in den zwanziger Jahren Postminister war. Der Vater folgte dynastisch in den sechziger Jahren als Verteidigungsminister. Alle wurden im gleichen Wahlkreis in der Kanagawa-Präfektur wiedergewählt.

Der Finanzbedarf zur karriereentscheidenden Wahlkreispflege bleibt auch nach allen Reformen der letzten Jahrzehnte hoch. Und auch bei sicheren Wahlkreisen reichen die staatlichen Zuweisungen kaum. Deswegen hängt auch der sauberste Abgeordnete zum politischen Überleben von Spenden aller Art ab, wobei die lukrativsten stets aus der von öffentlichen Aufträgen lebenden Bauwirtschaft fließen.

So kam es, daß Japan seit der Stagnationskrise 1992 die Bauwirtschaft durch öffentliche Schulden - die 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen - mit umgerechnet etwa 1.000 Milliarden Euro alimentierte. So wurden Tunnel zu halbverlassenen Weilern gebohrt, Brücken ins Nichts gestellt, leerstehende Flughäfen und Industrieparks konstruiert oder Fischereihäfen ohne Aussicht auf Fischfang gebaut. 60 Prozent der Küste sind zubetoniert, fast alle Bergbäche kanalisiert und die meisten Berge in Küstennähe zur Landgewinnung gesprengt oder angebaggert - ein ästhetischer wie ökologischer Frevel.

Koizumi, dessen von Hideki Tojos (Premier 1941/44) Rüstungsminister Kishi begründete patriotische LDP-Fraktion der Bauindustrie weniger nahesteht, suchte dem Bauwahn Einhalt zu gebieten - wegen deren Bedeutung in der von industrieller Abwanderung nach China bedrohten japanischen Provinz mit mäßigem Erfolg.

Angesichts vergangener Verdienste um die örtliche Wirtschaft haben die amtierenden Abgeordneten in allen ländlichen und mittelstädtischen Bezirken, wo sie fast ausnahmslos von der LDP - einschließlich der ausgeschlossenen 37 Rebellen - gestellt werden, einen klaren Vorteil gegenüber ihren Herausforderern. So wird einer ihrer Anführer, der frühere Polizeioffizier und Transportminister Shizuka Kamei (69), in seinem Wahlkreis bei Hiroshima sicher nicht von Koizumis "Killerkandidaten", einem jünglingshaften Internet-Unternehmer namens Takefumie Horie (32), entthront werden können. In den Großstädten, wo die Wechselwähler eher mit den Demokraten sympathisieren, andererseits aber auch Koizumis Post-Reform gutheißen, ist das Rennen offener.

Zunächst stieß die Post-Privatisierung kaum auf öffentliches Interesse. Zuvor hatte Koizumi ohne Widerstand die hochdefizitären Autobahngesellschaften verkauft. Die Eisenbahn war schon 1987 vom damaligen Premier Yasuhiro Nakasone privatisiert worden - auch um den Bahngewerkschaften, die als einzige in Japan noch zu streiken wagten, erfolgreich das Genick zu brechen.

Japanische Post hat 2,4 Billionen Euro Spareinlagen

Bei der Post dagegen, die mit umgerechnet 2,4 Billionen Euro Spareinlagen und 900 Milliarden Euro Lebensversicherungsprämien das größte gesammelte Sparkapital der Welt kontrolliert, kam der Widerstand von der Baulobby in der eigenen Partei. Finanzieren doch die Post-Milliarden durch den Kauf frischgedruckter staatlicher Schuldscheine einen Schattenhaushalt namens Investitionskreditprogramm, aus dem ein Gutteil der Bauprojekte auf Pump bezahlt wird. Gleichzeitig werden die meisten der 25.000 Postämter mit ihren 400.000 Bediensteten als lukrative Familienbetriebe in Erbpacht geführt, wobei der Vorsteher sehr erfolgreich Stimmen für den örtlichen LDP-Kandidaten einwerben kann.

Koizumis Plan sieht vor, die Staatspost bis 2007 in einer Staatsholding in vier Einzelfirmen zu gliedern: Postsparkasse, Versicherungen, Brief- und Paketdienst sowie allgemeine Schaltergeschäfte. Diese Unternehmen sollen dann bis 2017 verkauft werden. Damit würde dann das angehäufte Sparkapital nach privatwirtschaftlichen Gesichtspunkten vergeben und nicht länger über die Alimentierung der Bauindustrie die Kassen seiner politischen Feinde in der eigenen Partei und in der DPJ füllen.

Nach der Lage in den Wahlkreisen dürfte die LDP nach dem 11. September weiter stärkste Partei bleiben. Sollten jedoch, was wahrscheinlich ist, die nach dem Ausschluß der Rebellen verlorenen Mandatszahlen nicht zurück erobert werden können, dürften Koizumis Tage gezählt sein und mit ihm das Schicksal der Post-Reform. Gelänge ihm wider Erwarten ein Erdrutschsieg, würde sein präsidialer Stil bestätigt und der Widerstand gegen seine Reformen zum Schweigen gebracht. Japan würde in die Lage versetzt, durch weitere entstaatlichende und deregulierende Reformen aus seiner Strukturkrise auszubrechen.


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