© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

Angst vor dem eigenen Schwiegersohn
Ratloses Gezirpe: In den Nachrufen auf den Brecht-Schauspieler Ekkehard Schall blieb vieles im dunkeln
Richard Stoltz

Schade, daß bei den Nachrufen auf Ekkehard Schall, den vorigen Samstag im Alter von 75 Jahren verstorbenen Schauspieler des Berliner Ensembles und Brecht-Schwiegersohn, nirgendwo auf die zahllosen Anekdoten zurückgegriffen wurde, die über Schall existieren. So blieb vieles im dunkeln.

Schall galt im Berlin der 1950er Jahre wegen seines brüllend-expressionistischen Darstellungsstils bei vielen Theatergängern als Schöpfer und einziger Vertreter des "epileptischen Theaters". Man wunderte sich, daß so einer in Brechts Truppe untergekommen war. Ernst Busch fragte den Stückeschreiber, wie lange er sich Schalls Faxen denn noch ansehen wolle. Der antwortete seinerseits mit einer Frage: "Haben Sie eine Tochter?"

Brecht war Schall also dankbar, daß dieser seine Tochter geheiratet hatte und sie damit ordentlich unter die Haube gebracht worden war. Aber er hatte auch Angst vor Schall. Denn der war berüchtigt wegen seiner Vorliebe für alle möglichen Schlägereien. Einmal ließ er sogar sein Taxi anhalten, um sich aktiv in eine Massenschlägerei zu stürzen, an der er gerade vorbeifuhr.

In André Müllers berühmtem Anekdotenbuch über "Herrn B." lesen wir: "Bei einer Theaterprobe, an der Schall beteiligt war, rief Herr B. ihm vom Regiepult aus zu: 'Du spielst Schiller!' Nach der Probe begegnete Herr B. dem Schauspieler in einem dunklen Gang des Theaters. Vorsichtig machte er einen Bogen."

Ernst Busch sagte mit Zorn und Häme über Schall: "So etwas hätte man früher verbrannt oder als Heiligen verehrt." An sich gar kein schlechter Nachruf für einen Schauspieler. Auf jeden Fall besser als das ratlose Gezirpe der Nachgeborenen, das wir jetzt in den Medien lesen mußten.


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