© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

Von Schuld wie von Erinnerung befreit
Gesamtdeutsche Traditionen: Auch in Graz hat die RAF-Ausstellung lediglich Mythen weitertransportiert
Hans B. von Sothen

In der steirischen Landeshauptstadt Graz ging jetzt die vorher in Berlin gezeigte (JF 6/05), umstrittene Ausstellung "Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF" zu Ende. Rote Armee Fraktion? Wie bitte? Und warum eine Ausstellung dazu in Österreich?

Die Verbindungen erscheinen zunächst etwas dünn: Schließlich erreichten erst Ende 1976 die Ausläufer des bundesdeutschen RAF-Terrors die Alpenrepublik. Damals verübte die Terroristin Waltraud Boock einen Überfall auf eine Wiener Bank und wurde verhaftet und verurteilt. Im Zusammenhang mit RAF und der "Bewegung 2. Juni" kam es im November 1977 in Wien zur Entführung des Textilindustriellen Walter Michael Palmers, der nach Zahlung eines Lösegeldes wieder freikam. Auch in diesem Fall wurden die drei Entführer, der Vorarlberger Thomas Gratt und zwei Komplizen, verhaftet und zu Freiheitsstrafen verurteilt.

Aber damit hatte es sich mit dem Österreichbezug der RAF auch schon fast. Doch selbst diesen marginalen Bezug war die Ausstellung in Graz offensichtlich nicht in der Lage herzustellen; sie blieb im wesentlichen identisch mit der Berliner Exposition.

Freilich bestehen andere Verbindungen: RAF-Sympathisanten gab es auch in Wien, Linz oder Graz. Und wie in Berlin sitzen sie heute bisweilen an einflußreichen Stellen. Aber die 68er, die ebenso eine "Generation RAF" war, setzt auch in Österreich eine - wenngleich ungute - gesamtdeutsche Tradition fort. Und das war wohl der eigentliche Grund für die Verpflanzung der Berliner Ausstellung in die Steiermark.

Der in Wien und Karlsruhe arbeitende Peter Weibel, Spiritus rector und Ko-Kurator dieser Ausstellung in Graz, habe sie Österreich quasi als Beitrag zur Demokratie-Debatte "verordnet", hieß es. Er war es, der die steirischen Kultur-Intendanten überzeugte, die Schau von Berlin in die Steiermark zu holen. Weibel im linksalternativen Wochenblatt Falter: "Es handelt sich um einen neuen Typus von Ausstellungen, dem der soziale Kontext wichtig ist."

Daß man den vorher offensichtlich nicht herzustellen imstande war, erscheint freilich kaum glaublich. Gesellschaftspsychiater Klaus Theweleit sprach denn auch den Verdacht aus, man wolle beim Thema RAF wohl vor allem den "symbolischen Mehrwert anhäufen".

Wie die "Frau Landeshauptmann" der Steiermark, Waltraud Klasnic von der bürgerlichen ÖVP, schließlich von der Notwendigkeit der RAF-Bilderschau in der beschaulichen Landeshauptstadt überzeugt werden konnte, liegt im dunklen. Jedenfalls gab sie ihr Einverständnis und darüber hinaus auch noch einen Landeszuschuß von 50.000 Euro, nachdem sogar in Berlin die öffentlichen Finanzmittel für die Ausstellung gestrichen wurden.

Das erboste insbesondere die Grazer Stadt-FPÖ. Deren Chef, Gerhard Kurzmann, protestierte als einziger gegen diese Verwendung von Steuergeldern, zumal ganze Symphoniekonzert-Zyklen in der Landeshauptstadt für die Saison 2005/06 aus Geldmangel schlicht gestrichen werden mußten. Der Verdacht lag nahe, daß hier politische Prioritäten gesetzt werden sollten.

Die Kritik trifft Klasnic, die Anfang Oktober in den Landtagswahlen um ihr Amt kämpft, an einer empfindlichen Stelle. Kurzmann warf ihr einen "mißglückten Hofknicks vor dem Terror" vor. Denn der an Skandalen wahrlich nicht arme steirische Wahlkampf hat hier erneut gezeigt, daß ihre Wiederwahl alles andere als gesichert ist. Ko-Kurator Weibel mußte im Falter zugeben: "Ich bin seit dreizehn Jahren hier Kurator und mußte das erste Mal eine Ausstellung legitimieren." Eigentlich gut so.

Der Ausstellung ist auch in Österreich eine künstlerische Verharmlosung der RAF-Verbrechen vorgeworfen worden. Die Rückkehr der RAF als Pop-Ikone der späten 1990er Jahre äußert sich in scheinbar oder tatsächlich distanzierenden Bildtiteln wie "Mona Meinhof", "Prada-Meinhof" oder "Cher-Guevara". Natürlich distanziert man sich damit auch von der Ikonisierung von Baader und Meinhof. Aber irgendwie auch wieder nicht. Denn hier ist sowohl die Ideologie als auch das Grauen bei Micky Maus und Hennes & Mauritz angekommen: sinnentleert, entideologisiert, von Schuld ebenso befreit wie von Erinnerung.

Man distanziert sich, aber irgendwie auch wieder nicht

Zu einer ehrlichen und ernsthaften Erinnerung, zur Aufarbeitung dieser logisch folgerichtigen Sackgasse von 1968 hat auch die Grazer Ausstellung nichts beigetragen. Sie hat mit wenigen Ausnahmen Mythen weitertransportiert (der ursprüngliche Titel des Projekts lautete ja "Mythos RAF"), falsche Erklärungen geliefert und aus der Möglichkeit der "Aufarbeitung von '68" eine weitere Selbstaffirmation dieser Generation produziert. "Läppisch", nannte der Spiegel die Ausstellung, die FAZ ortete eine "Umkreisung des Nichts", die Formulierung des Themas sei überdies "verschwiemelt".

Das Ganze bleibt, wenn überhaupt, eine weitgehend systemkonforme Kritik aus den Reihen der 68er, innerhalb der mittlerweile auch in Österreich mehrheitlich linken kulturproduzierenden Klasse. Denn worin sonst - außer in der Selbstbespiegelung dieser Generation - die Notwendigkeit einer solchen RAF-Ausstellung für die steirische Landeshauptstadt gelegen haben könnte, ist auch nach ihrem nunmehrigen Abschluß von einem tiefen Geheimnis umwoben.


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