© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

Aschenputtel im Ring
Mitreißend: Ron Howards Boxfilm "Das Comeback"
Michael Insel

Das Kino liebt die Aschenbrödel- Geschichte des Jungen aus ärmlichen Verhältnissen, der es im Boxring zu Ruhm und Mammon bringt, und verewigt gerade Schwergewichtschampions mit Vorliebe auf Zelluloid: von Raoul Walshs Komödie "Gentleman Jim" (1942) über Joseph Burns Hommage an Joe Louis, "Der braune Bomber" (1953), die fiktionalisierte Lebensgeschichte des ersten schwarzen Weltmeisters Jack Johnson in "Die große weiße Hoffnung" (1970) bis zu Michael Manns "Ali" (2002). In "Das Comeback" hat sich Ron Howard nun der "Bulldogge von Bergen" James J. Braddock angenommen.

Die Handlung setzt im November 1928 ein. Braddock, überzeugend gespielt von Russell Crowe (der den Boxprofi weitaus glaubhafter verkörpert als den Mathematik-Nobelpreisträger John Nash in Howards Oscar-gekröntem "A Beautiful Mind"), ist ein vielversprechender Nachwuchsboxer. Eine anhaltende Erfolgsserie ermöglicht ihm und seiner Familie eine komfortable Existenz - bis Braddock seine rechte Hand bricht und die Idylle ein jähes Ende nimmt.

Howard spult auf 1933 vor: Braddocks Lebensumstände haben sich drastisch verändert. Er lebt mit Frau (Renée Zellweger) und drei Kindern in einer engen Einzimmerwohnung, sie haben kaum genug zu essen, geschweige denn daß sie ihre Rechnungen bezahlen könnten. Braddock schlägt sich als Dockarbeiter durch und ist froh über gelegentliche Kämpfe gegen zweitklassige Boxer.

Nach einem besonders jämmerlichen Auftritt, bei dem Braddock mit gebrochenem Handgelenk in den Ring steigt, wird ihm die Boxlizenz entzogen. Ein Comeback scheint ausgeschlossen. Die Zeiten sind düster - nicht nur für die Braddocks, sondern für das ganze Land, und als der Familie der Strom abgeschaltet wird, überwindet er seinen Stolz und reiht sich in die Schlange der Bittsteller um staatliche Hilfe ein.

Hollywood wäre nicht Hollywood, wenn es nach einem solchen Tiefpunkt nicht wieder aufwärts ginge. Braddocks altem Manager Joe Gould (Paul Giamatti) gelingt es, einen Kampf gegen einen aufstrebenden Schwergewichtler zu buchen, den Braddock zum allgemeinen Erstaunen für sich entscheidet. Um sein schwaches rechtes Handgelenk zu schonen, hat er sich offensichtlich auf den Docks etwas antrainiert, was ihm zuvor fehlte: einen gewaltigen linken Haken.

Der zungenfertige Gould verschafft Braddock eine neue Boxlizenz, ein Sieg folgt dem anderen, und schließlich tritt Braddock Titelverteidiger Max Baer (Craig Bierko) entgegen, der schon zwei Gegner im Ring getötet hat.

Das packende Duell (eine herausragende Leistung beider Schauspieler) nimmt fast die letzte halbe Stunde des Films in Anspruch und reicht in seiner zermürbenden visuellen Intensität an die unvergeßlichen Kampfszenen in "Rocky" (1976) oder Martin Scorseses "Wie ein wilder Stier" (1980, noch ein Film über einen Schwergewichtsweltmeister, nämlich Jake La Motta) heran.

Unter Howards Regie, Salvatore Totinos kinetischer Kameraführung und Daniel P. Henleys präziser Schneidetechnik gewinnt dieses fulminante Finale eine Dimension hinzu, indem es über den mörderischen Schlagabtausch hinaus die Beziehung zwischen den Boxern in den Blickpunkt rückt: Braddocks wilde Entschlossenheit, sich gegen einen erbarmungslosen Gegner durchzusetzen und seine Selbstachtung wiederzuerlangen.

So mitreißend diese Bilder sind, so sehr der Feelgood-Faktor gen Ende steigt, geht die im ersten Teil des Films dargestellte menschliche Not kaum weniger unter die Haut: die Männer, die sich an den Docks von Hoboken um einen Tag Arbeit drängeln und schubsen, die Elendsquartiere im Central Park.

Die gesamte Besetzung glänzt durch schauspielerische Meisterleistungen. Giamatti hat nach seiner hervorragenden Arbeit in "American Splendor" (2003) und "Sideways" (2004) nun endgültig einen Oscar verdient, während Crowe mit Gusto in seine Rolle schlüpft und einem doch recht schlicht gestrickten Leinwandhelden emotionalen und psychologischen Tiefgang zu verleihen vermag.

Auch wenn "Das Comeback" gelegentlich ins Sentimentale abzugleiten droht, ist Howard insgesamt ein wunderbarer Film gelungen, der glaubhaft eine brutale Welt in Szene setzt, in der Wohlstand und Sicherheit kaum mehr als eine Fassade sind, die jederzeit zusammenstürzen kann.


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