© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Resozialisierung
Karl Heinzen

Unabhängig davon, ob Ange la Merkel am 18. September die Nase vorn hat oder Gerhard Schröder wider Erwarten doch noch von einer Trendwende profitieren sollte, werden Sieger und Verlierer am Wahlabend vor den TV-Kameras für einen kurzen Augenblick zu einem Konsens tiefer Zufriedenheit finden: Gewonnen, so in etwa dürften ihre Worte unisono lauten, hat wieder einmal die Demokratie, da die Bürger den Parolen der Rechten nicht auf den Leim gegangen sind und deren Stimmanteil folglich die Fünf-Prozent-Hürde aufs neue markant unterschritten hat.

In der Tat ist es auffällig, daß in der Bundesrepublik Deutschland im Unterschied zu zahlreichen Nachbarländern rechte Protestparteien bei gesamtstaatlichen Wahlen nicht einmal dann eine Chance haben, wenn es für viele Bürger eigentlich reichlich Anlaß geben sollte, mit ihrer Stimme Protest zum Ausdruck zu bringen. Die letzte und zugleich einzige Ausnahme von dieser Regel ist auf das ferne Jahr 1969 zu datieren, als es der NPD beinahe gelungen wäre, Abgeordnete in den Deutschen Bundestag zu entsenden. Dieses Phänomen findet jedoch seine Erklärung in sehr zeittypischen und daher nicht wiederkehrenden Umständen. Als eine Art Partei des demokratischen Nationalsozialismus sammelte die NPD in einer letzten Aufwallung noch einmal all jene, die die zweite Republik nicht nur in personeller, sondern auch in einer moderaten inhaltlichen Kontinuität mit dem dritten Reich halten wollten. Adenauers Zeiten mit ihrer pragmatischen Bigotterie, die zahllose nach heutigen Maßstäben NS-Belastete in abendländisch-demokratischem und vor allem antikommunistischem Gewand unbehelligt weitermachen ließ, waren jedoch unwiderruflich vorüber. Spätestens im Laufe der siebziger Jahre durfte man die Altlasten als weitestgehend entsorgt ansehen, und die Republik war das geworden, was sie vermutlich von Anfang an hatte werden sollen. In ihr war und ist für alles mögliche Platz, außer für Rechte, nicht einmal für Republikaner.

Der Erfolg gibt ihr recht. Es scheint die Stärke der repräsentativen Demokratie auszumachen, daß die vielen, deren Auffassungen nicht in den Parlamenten repräsentiert werden, dies gar nicht als Manko empfinden. Sollten sie sich einen Fehltritt auf Länder- oder Kommunalebene geleistet haben, nutzen sie in der Regel die Resozialisierungschance, die ihnen die Bundestagsparteien bieten. Am 18. September dürfen sie sich des Lobes gewiß sein, selbst wenn manche von ihnen Gysi und Lafontaine den Rücken gestärkt haben sollten.


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