© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

Keinen Fingerbreit von Gottes Wegen abweichen
Preußische Traditionen: Aufbau der Garnisonkirche ungewiß / Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel hat sich aufgelöst
Detlef Kühn

Der eingetragene Verein Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel hat sich auf seiner Mitgliederversammlung am vergangenen Sonnabend in Potsdam satzungsgemäß mit Dreiviertel-Mehrheit der Anwesenden aufgelöst. Das Vermögen von rund fünf Millionen Euro aus der bisherigen Sammeltätigkeit des Vereins wird auf die in München errichtete Stiftung Preußisches Kulturerbe übertragen. Dort steht es weiterhin für Ausgaben im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam zur Verfügung. Sollte es zu diesem Wiederaufbau nicht kommen, wird die Stiftung das Geld entsprechend ihrer Satzung für die Förderung der Pflege und Erhaltung von (preußischen) Kulturwerten und Denkmälern ausgeben.

Die Hintergründe des aus Außensicht etwas rätselhaft anmutenden Vorgangs sind typisch für den Umgang mit Preußen und seinen Symbolen im heutigen Deutschland. Zugleich ist die zwanzigjährige Geschichte der jetzt in Liquidation gehenden Traditionsgemeinschaft ein eindrucksvolles Zeugnis dafür, was auch heute noch preußisches Pflichtbewußtsein, verbunden mit Beharrlichkeit und privater Opferbereitschaft, zu leisten vermag.

Der Erfolg des Vereins ist undenkbar ohne das Engagement seines Gründers und Vorsitzenden, Oberstleutnant a.D. Max Klaar. Als Fallschirmjäger-Offizier und Bataillonskommandeur in Iserlohn sammelte Klaar 1984 im Freundeskreis Geld, um das Glockenspiel der im April 1945 durch Bomben beschädigten und 1968 auf Anordnung von Walter Ulbricht gesprengten Potsdamer Garnisonkirche zu rekonstruieren. In kurzer Zeit kamen die Mittel zusammen, die ermöglichten, daß das Glockenspiel an der Bundeswehr-Kaserne in Iserlohn angebracht werden konnte, wo es erneut nach der Melodie von Mozart aufrief, immer Treu und Redlichkeit zu üben und keinen Fingerbreit von Gottes Wegen abzuweichen.

Sinnbild für preußische Tugenden, gerade Toleranz

Fürwahr ein eindrucksvolles Zeichen preußischen Geistes im damals noch geteilten Deutschland! Die Geldgeber waren von dem Erfolg so beeindruckt, daß sie beschlossen, weiter zu sammeln, damit eines Tages - wer wußte wann? - vielleicht die ganze Garnisonkirche wieder aufgebaut werden könnte. Die Möglichkeit ergab sich schneller als erwartet. 1991 hatten Klaar und seine Freunde die Genugtuung, das Glockenspiel von Iserlohn nach Potsdam überführen zu können, wo es seitdem unweit des früheren Standorts der Kirche zu hören ist.

Die Potsdamer Stadtväter waren so begeistert, daß sie den Traditionsverein und seinen Vorsitzenden Klaar baten, weiterhin zu sammeln, damit auch die Kirche wiedererstehen könnte. Die Traditionsgemeinschaft konstituierte sich daraufhin als Kirchbauverein und konnte bis heute Barmittel und verbindliche Unterstützungszusagen in Höhe von über sechs Millionen Euro einwerben.

Ziel war und ist, eine äußerlich unveränderte Kirche zu errichten, die allen christlichen Konfessionen für gottesdienstliche Zwecke zur Verfügung steht, wieder als Grablege für König Friedrich Wilhelm I. dient und in seinem Geist für die preußischen Tugenden, insbesondere die Toleranz, steht.

Die Spender wollten nicht nur durch den Aufbau die historische Silhouette der Stadt wiedererstellen, sondern durch die Besinnung auf mit der Errichtung der Kirche im 18. Jahrhundert verbundene Traditionen auch geschichtspolitisch wirken.

Dieses Ziel rief allerdings all die Kräfte in Potsdam auf den Plan, für die Preußen nichts anderes als den "Hort des Militarismus" darstellt, den die alliierten Siegermächte beschworen, als sie 1947 Preußen als Staat auflösten. Sie wollen zwar die Garnisonkirche als Gebäude wieder aufbauen, eine Absage an das gängige antipreußische Geschichtsbild soll damit aber auf keinen Fall verbunden sein. An die Spitze dieser Bewegung stellte sich die Evangelische Kirche. Als Kirche wäre das Gebäude für sie uninteressant, weil keine entsprechende Gemeinde mehr existiert. Angesichts der Abwendung großer Teile der Bevölkerung von der Kirche hat sie sowieso zu viele Kirchengebäude, die sie nicht benötigt und deren Unterhalt sie finanziell schwer genug belastet.

Als Kirche ist das Gebäude uninteressant geworden

Die Evangelische Kirche kann also gut ohne dieses Gebäude leben. Unerträglich wäre für sie aber, wenn es in anderer Trägerschaft einem Geschichtsbild diente, das ihre Führung nur als "rechts" und "revisionistisch" empfinden kann. Für sie ist die Garnisonkirche auf ewig durch den Mißbrauch gebrandmarkt, den Hitler 1933 am "Tag von Potsdam" mit ihr trieb. Diese am Gebäude haftende Schuld wird nur erträglich, wenn die Garnisonkirche nicht für preußische Tugenden steht, sondern als "Internationales Versöhnungszentrum" unter dem Nagelkreuz von Coventry genutzt wird, in dem die immerwährende Schuld der Deutschen an den Übeln dieser Welt thematisiert wird. Die Garnisonkirche wäre somit als Bildungsstätte fest in das Geschichtsbild der heute herrschenden politischen Klasse eingebunden.

Für die große Mehrheit der Mitglieder und Spender der Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel e.V. war dies nicht akzeptabel. Sie haben den Verein aufgelöst, weil das Ziel, Einbettung des Neubaus in positive preußische Traditionen und Ausschluß jeden Mißbrauchs für politische Zwecke, unter den gegebenen Umständen nicht zu erreichen ist.

Es bleibt abzuwarten, ob die jetzigen Träger des Wiederaufbaus - Evangelische Kirche, Stadt Potsdam und Land Brandenburg, unterstützt von einem Förderverein - das Projekt vorantreiben können. Bisher scheinen die weltweiten Sammelbemühungen zu keinem nennenswerten Erfolg geführt zu haben. Deshalb hätte man das Geld der Traditionsgemeinschaft gern vereinnahmt, aber natürlich nur unter "politisch korrekten" Bedingungen.

Das Projekt Garnisonkirche ist somit zu einem Schulbeispiel für das Wirken des Zeitgeistes geworden. Ein Geschichtsbild, das nicht nur die zwölf Jahre Nationalsozialismus umfaßt, kann dagegen immer noch mobilisieren. Die Mitglieder des aufgelösten Vereins werden sehen, ob sich der ihrem Ziel abträgliche Zeitgeist wandelt. Wenn nicht: Geld wird überall gebraucht.

Foto: Modell der Garnisonkirche: Das Wiederaufbauprojekt droht dem Zeitgeist zum Opfer zu fallen

 

Detlef Kühn war von 1972 bis 1991 Präsident des Gesamtdeutschen Instituts in Bonn.


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