© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/05 16. September 2005

Verlängerung in Dresden
Wahlkampf: Nachwahl im Oktober / Schönhuber rückt für NPD-Kandidatin nach / Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht
Peter Freitag

Der Tod der sächsischen NPD-Politikerin Kerstin Lorenz, die am Montag vergangener Woche während einer Wahlkampf-Veranstaltung einen Gehirnschlag erlitten hatte und zwei Tage später daran verstarb, sorgt bei der Bundestagswahl für Wirbel über den Freistaat hinaus. Lorenz war Direktkandidatin der Nationaldemokraten im Wahlkreis Dresden I (Wahlkreis 160), daher muß die Bundestagswahl dort um zwei Wochen verschoben werden; die NPD muß einen Direktkandidaten nachnominieren, da laut Bundeswahlgesetz kein automatisches Nachrücken vorgesehen ist, der Nachfolger muß Gelegenheit bekommen, sich vorzustellen, und außerdem müssen neue Wahlzettel gedruckt und - für Briefwähler - erneut verschickt werden.

Probleme bereitet nun vor allem die Frage, ob am 18. September das vorläufige amtliche Wahlergebnis schon verkündet werden darf, obwohl noch knapp 220.000 Dresdner bis zu diesem Zeitpunkt nicht wählen konnten. Bundeswahlleiter Johann Hahlen hat sich für eine Bekanntmachung entschieden, dem Bundesverfassungsgericht liegt jedoch ein halbes Dutzend Beschwerden gegen diese Entscheidung vor. Noch in dieser Woche wollen die Karlsruher Richter in dieser Sache ein Urteil fällen. Hahlen argumentiert, daß eine Geheimhaltung der Ergebnisse dem Bundeswahlrecht zuwiderlaufe, einige Juristen meinen, bis zur Nachwahl müßten die Zahlen unter Verschluß bleiben.

In den Augen der Kläger käme den Stimmen aus dem Wahlkreis 160 ansonsten ein größeres Gewicht zu, wenn sie vom bereits ausgezählten Ergebnis der Restrepublik beeinflußt seien. Deuten beispielsweise die Prozentzahlen am Abend des 18. September auf ein knappes Über- oder Unterschreiten der absoluten Mehrheit für Union und FDP hin, kommt es auf Dresden I allein an; zwei Wochen lang würde dann ein mit immensem finanziellen und logistischen Aufwand geführter Lagerwahlkampf um das "Zünglein an der Waage" geführt werden. Die 220.000 Stimmen wären also de facto "mehr" wert als andere.

Besonders die Linkspartei zieht vehement gegen die Entscheidung des Bundeswahlleiters zu Felde. Hintergrund ist hier die Direktkandidatur der Landesvorsitzenden Katja Kipping in ebendiesem Wahlkreis Dresden I. Denn Kipping führt auch auf Platz 1 die Landesliste der Linkspartei; sie wäre also mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit schon durch das Ergebnis am 18. September im Bundestag vertreten; kommt es dann zwei Wochen später zur Nahwahl samt dem oben beschriebenen Szenario eines Lagerwahlkampfes zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün, wäre sie laut Wahlkampfleiter Bodo Ramelow im Kampf um das Direktmandat benachteiligt: Linke Wähler könnten dann abgehalten werden, für Kipping zu votieren oder überhaupt noch am Urnengang teilzunehmen. Wieviel Einfluß - rein zahlenmäßig - der Wahlkreis 160 hat, läßt sich nicht eindeutig vorhersagen. Sicher ist nur ein Direktmandat. Die Nachwahl könnte jedoch aufgrund der Zweitstimmen-Ergebnisse auch zu einer Veränderung der Listenmandate und/oder zu einem Überhangmandat führen (siehe Artikel auf Seite 8).

Abgesehen davon, ob unter diesen Umständen tatsächlich eine Ungleichgewichtung von Wählerstimmen vorliegt, erscheint es fraglich, wie das vorläufige Ergebnis am Sonntagabend überhaupt unter Verschluß gehalten werden könnte. Denn laut Bundeswahlgesetz muß die Stimmenauszählung öffentlich sein; Teilnehmer der Auszählungen könnten also die Ergebnisse weitergeben und somit - inoffiziell - ein vorläufiges Endergebnis addieren und verbreiten.

Unterdessen hat der Dresdner Kreisvorstand der NPD den ehemaligen Bundesvorsitzenden der Republikaner, Franz Schönhuber, in Nachfolge für Kerstin Lorenz als Direktkandidat nominiert. Der 82jährige Parteilose habe sich nach "eingehender Überlegung" und einem ausführlichen Gespräch mit dem Parteivorsitzenden Udo Voigt bereit erklärt, sich um das Mandat zu bewerben. Er fühle sich, sagte Schönhuber, "aufgrund seines persönlichen Respekts gegenüber Frau Lorenz verpflichtet", zur Wahl anzutreten.

Die Verbundenheit zwischen beiden ergibt sich auch aus der Tatsache, daß Lorenz wie Schönhuber früher den Republikanern angehörte, zuletzt sogar bis zum Bruch mit der Partei als sächsische Landesvorsitzende amtierte. "Frau Lorenz war es, die erreichte, daß ich trotz meines faktischen Rauswurfes bei den Republikanern von den sächsischen Mitgliedern zum Ehrenvorsitzenden gewählt wurde. Frau Lorenz war es auch, die genau wie ich im nationalen Lager das Gemeinsame suchte und daran arbeitete, Trennendes zu überwinden. Ihr plötzlicher Tod ist für mich eine Verpflichtung, aus Solidarität zur Person und zur Sache ihr begonnenes Werk weiterzuführen", sagte Schönhuber weiter. In der Elbmetropole, in der er jetzt kandidieren möchte, habe er zudem seine Schul- und Jugendzeit verbracht, und seine Beziehung zu Dresden sei auch in den Jahren der Teilung nie abgerissen.

Die Republikaner , die in Sachsen als Konkurrenz zur NPD antreten, bedauerten den Tod ihrer ehemaligen Landesvorsitzenden Lorenz, "auch wenn sie ihre Partei verraten und sich an die NPD verkauft hat".

Die Nominierung Schönhubers kommentierte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei, Johann Gärtner, als Mobilisierung eines "Volkssturms". In Ermangelung eigener Leute müsse die NPD in Sachsen auf "Gescheiterte aus anderen Parteien" und "Westimporte" zurückgreifen, sagte Gärtner. Schönhuber unterschreibe "auf seine alten Tage wohl alles, was seiner Egomanie schmeichelt", eine Parallele "zu Lafontaine und den Postkommunisten" sei nach Meinung seiner ehemaligen Parteifreunde unübersehbar.

Kerstin Lorenz (Foto)


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