© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/05 16. September 2005

"Nicht über die Köpfe unserer Nachbarn hinweg"
Bundestagswahl: Die außenpolitischen Konzepte der Parteien bieten wenig / Union und FDP wollen "Achsenpolitik" beenden
Alexander Griesbach

Unter seiner Regierung habe sich Deutschland zu einer Mittelmacht des Friedens entwickelt, "die Nein zu sagen in der Lage ist, wenn es um einen Krieg geht, dessen Sinn wir nicht einsehen", erklärte Gerhard Schröder in seiner letzten Regierungserklärung vor der kommenden Bundestagswahl. Auch wenn der Ex-SPD-Chef damit sicher keine Erinnerung an die "Mittelmächte" des Ersten Weltkrieges wecken wollte, so zeugt seine Formulierung doch von einer gewissen Unbefangenheit.

"Existenz Israels ist der Kern der Staatsräson"

Doch die zaghaften Versuche einer an nationalen Interessen orientierten Außenpolitik, wie sie auch bei dem deutsch-russischen Abkommen über den Bau einer Ostsee-Pipeline augenfällig geworden ist (siehe Seite 12), dürften im Fall einer Abwahl des Kanzlers bereits wieder beendet sein. Union und FDP haben in den letzten Wochen keinen Zweifel daran gelassen, daß unter einer schwarz-gelben Regierung eine "Neubestimmung" der deutschen Außenpolitik ansteht. Für diesen Kurswechsel stehen vor allem die "Atlantiker" in der Union, namentlich der CDU-Vize und Außenexperte Wolfgang Schäuble sowie der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Friedbert Pflüger.

Letzterer hat bereits zu erkennen gegeben, daß die "gegen Amerika gerichteten Treffen" des zur "Achse" hochgeschriebenen Dreiecks Deutschland, Frankreich und Rußland "überprüft" würden. Der außenpolitische Teil des Regierungsprogramms der Union für die Jahre 2005 bis 2009 trägt auch die Handschrift von Pflüger und Schäuble.

"Die Verantwortung Deutschlands für die europäische Einigung, für die transatlantische Einigung, für die Existenz Israels ist der Kern der Staatsräson Deutschlands", heißt es da. Man wolle zwar gute Beziehungen zu Rußland, "aber nicht über die Köpfe unserer Nachbarn hinweg".

Was das konkret heißt, exerzierten Schäuble und Pflüger anhand der Ostsee-Gaspipeline vor. Ex-CDU-Chef Schäuble kündigte im SWR an, eine unionsgeführte Regierung wolle Polen und die baltischen Staaten an der Gaspipeline beteiligen. Es sei eine "Katastrophe", daß Rot-Grün mit seiner "Achsenpolitik" so viel Mißtrauen in Polen angesammelt habe. Daß Polen hier vor allem an entgangene Transitgebühren denkt und möglicherweise als Sprachrohr von US-Interessen agiert (am Gas aus der Region Kaukasus/Kaspisches Meer verdienen vor allem US-Konzerne), kommt Schäuble nicht in den Sinn.

Die Rivalität zwischen den USA und Rußland in Energiefragen ist hinlänglich bekannt. Mit der Jukos-Affäre und dem Irakkrieg ist der Energiedialog zwischen den beiden Staaten praktisch zum Erliegen gekommen. Gleichzeitig ist die Position deutscher Energieunternehmen auf dem russischen Markt immer stärker geworden. Daß eine steigende energiepolitische Unabhängigkeit Deutschlands keineswegs im US-Interesse ist, liegt auf der Hand. Polens lautstark vorgetragene Befürchtungen sind im übrigen äußerst fadenscheinig.

Als sich Polen mit Rußland und Weißrußland über den Bau der Jamal-Gaspipeline einigte (1993), überging es Befürchtungen der Ukraine. Regelrecht hängen ließ Polen die Ukraine auch beim Bau einer Pipeline für kasachisches Öl, mit der Kiew die Abhängigkeit von Moskau vermindern wollte. Bis heute ist das polnische Teilstück dieser Pipeline noch nicht fertiggestellt.

Derartige Details kümmern auch nicht Wolfgang Gerhardt, der als Außenminister einer Merkel-Regierung gehandelt wird. Der FDP-Fraktionschef will ebenfalls die "transatlantischen Beziehungen" wieder in den Mittelpunkt der deutschen Außenpolitik stellen. Im FDP-Wahlprogramm wird daher die "Achsenbildung" (von Rot-Grün) in Gegnerschaft zum "transatlantischen Bündnis" angegriffen und die "Rückkehr zu einem vertrauensvollen transatlantischen Verhältnis" angemahnt.

Deutsche Außenpolitik habe "europäisch eingebunden" und "multilateral ausgerichtet" zu sein, wird im FDP-Programm unterstrichen. Vor allem aber geht es der FDP um die "Menschenrechte", die das Wahlprogramm wie ein roter Faden durchziehen - allerdings ohne konkret zu werden.

Streit um Vollmitgliedschaft der Türkei in der EU

Die schöne neue transatlantische Partnerschaft könnte allerdings eine Illusion bleiben, wenn die EU im Hinblick auf einen möglichen Beitritt der Türkei "sperrig" gegenüber US-Wünschen bleibt. Daß Washington eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei präferiert, ist bekannt. Das wird aber nur von SPD und Grünen angestrebt. Die FDP will zumindest Alternativen zur "Vollmitgliedschaft" und "ergebnisoffene Verhandlungen" mit der Türkei. Die Union will nur eine "privilegierte Partnerschaft". Darüber hinaus hat sie durchblicken lassen, daß auch sie keine deutschen Soldaten in den Irak schicken will. Ob diese Ankündigungen im Falle des Iran oder anderer Krisenherde auch gilt, ist nicht eindeutig klar.

Demgegenüber gibt sich der außenpolitische Teil des Wahlkampfprogramms der SPD pragmatisch. Die "selbstbewußte" deutsche Außenpolitik soll weitergeführt werden. Unklar ist die Auskunft, daß die SPD entschieden "für Frieden, Demokratie und Menschenrechte" eintritt, diese aber dem "Aufbau neuer Wirtschaftsbeziehungen" nicht entgegenstehen dürften.

Die üblichen globalen Bekenntnisse zu Frieden, Demokratie, Menschenrechten und Armutsbekämpfung sowie "geostrategischer Umweltpolitik" durchziehen die außenpolitischen Positionen des grünen Wahlprogramms. Überraschend ist, daß der "Atlantiker" und Außenminister Joseph Fischer in seinem Wahlprogramm nur die Aussage "Die transatlantische Zusammenarbeit bleibt ein Eckpfeiler deutscher Außenpolitik" trifft. Es ist aber nicht mehr von "dem" Eckpfeiler die Rede.

Bei der Linkspartei sucht man den Passus "Außenpolitik" bezeichnenderweise vergeblich. Statt dessen sind unter der Überschrift "Frieden leben, Frieden ermöglichen, Globalisierung gestalten" plakative Aussagen wie "Deutschland verweigert den Kriegsdienst" finden.

Während die Linkspartei keinerlei nationale Interessenvertretung mehr erkennen läßt, vertritt die NPD in ihrem Wahlprogramm provokativ den Standpunkt: "Nationalismus sichert den Frieden". Der "Neuen Weltordnung" und dem "US-Imperialismus" werden eine klare Absage erteilt und eine selbstbestimmte Politik gefordert - einschließlich eigener Atomwaffen. Daß dies nicht nur dem "Zwei plus Vier"-Vertrag entgegensteht, wird ignoriert.

Die rechtskonservativen Republikaner treten in ihrem Programm für die "konsequente Wahrnehmung nationaler Interessen" und eine "geistig-moralische Wende" in der Außenpolitik ein.


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