© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/05 30. September 2005

Auf einem ungewissen Kurs
Bündnis 90/Die Grünen: Die Partei droht nach dem Ende von Rot-Grün und dem Rückzug Fischers ins Schlingern zu geraten
Rolf Stolz

Als die Regierungsgrünen noch obenauf waren, da wiesen sie schon mal in aller Fröhlichkeit darauf hin, sie seien vielleicht nicht immer ihren Partnern und ihren Zielen treu, aber immerhin seien sie verglichen mit der alten Tante SPD diejenigen, die flexibel auf neue Herausforderungen zu reagieren verständen. Joschka Fischer etwa ließ sich stets feiern als der versierte Taktiker, definierte sich selbst als ein altes Schlitzohr à la Genscher.

Nun, der Wahlabend und die Woche nach den Wahlen zeigten ein anderes Bild: Der große Tanker SPD, von Gerhard I. hart an der Grenze zu Größenwahn und Lächerlichkeit auf einem riskanten, aber nicht ganz aussichtslosen Kurs gehalten, überholte mühelos das ruderlos treibende grüne Parteischifflein, dessen Lotse gerade von Bord gegangen war. Endlich konnten die grünen Leichtmatrosen sich ungestört mit sich selbst, ihren Privatfehden und der eigenen Karriere beschäftigen und ohne Ende Spaß haben. Der Begriff "Zickzack-Kurs" wäre für die der Wahl folgende Stümper-Diplomatie noch eine Beschönigung, denn im Grunde ist überhaupt kein Kurs zu erkennen. Es wurde nur noch reagiert auf die Stichworte der Gegenseite.

Erst kam von Fischer am Tag nach der Wahl die Aussage, die Jamaika-Koalition sei "keine Option", dann setzte man sich doch mit Merkel und Stoiber an einen Tisch, um über diese angebliche Nicht-Option zu sprechen. Einerseits verteidigte Jürgen Trittin am 20. September Schröders Anspruch auf die Kanzlerschaft, andererseits unternahmen die Regierungsgrünen nichts Ernsthaftes, um die Chancen einer Minderheitsregierung mit der SPD (und deren Tolerierung durch die Linkspartei) auszuloten und dieses Projekt ins Spiel zu bringen.

Ausgerechnet der FDP, dieser Partei des Ultra-Neoliberalismus und des dienstfertigen Umfallens, überließ man die Rolle, über das Zustandekommen der einen oder der anderen Ampel-Koalition zu entscheiden, um gleichzeitig die komplette Verwirrung noch dadurch zu steigern, daß man wortreich alle (H)Am-peleien zurückwies. Im Endeffekt gewann der unvoreingenommene Bürger den Eindruck, hier zeige eine verhinderte Möchtegern-Regierungspartei ihre ausgeprägte Fähigkeit, weder durch Teilhabe an der Regierungsmacht noch durch eine geradlinige, argumentstarke Oppositionspolitik ihre Ziele durchzusetzen. So klein, wie die Grünen sich selbst gemacht haben, hat der Wähler sie am Wahltag nicht gewollt.

Bald könnte die Fünf-Prozent-Hürde drohen

Aber sie, die jetzt ohnehin die kleinste Fraktion stellen, könnten das nächste Mal noch kleiner werden - und dann kommt bald das Fallbeil jener Fünf-Prozent-Klausel in Sicht, die die Obergrünen aus "staatspolitischen" Gründen - sprich: um das Hochkommen neuer Kräfte zu verhindern - stets verteidigt haben.

Ob die Grünen nun untergehen oder nicht - einen läßt das offenkundig eher kalt: Fischer, der vollmundige Führer in herrliche Zeiten, zieht sich zurück auf das Altenteil. Auch eine Abschiedsbotschaft hat er: Deutschland ist dank der für ihn und seinesgleichen fetten sieben Jahre rot-grüner Regierung ein "wunderbares Land" geworden. Aha, das alte tiefbraune Deutschland, leider doch nicht gespalten geblieben, ist endlich nach einem erfolgreichen Prozeß siebenjähriger Kastration und Transformation umgewandelt in ein softes Zweitamerika.

Natürlich muß das Neo-Amerika unbedingt das "bessere" Amerika sein: Schröder, Fischer und Co. haben uns Arbeitslosenzahlen beschert und dauerhaft erhalten, die jenseits des Atlantiks allenfalls um 1930 zu finden waren. Wir haben eine gewaltige Staatsverschuldung plus Bürokratiechaos plus Bildungsmisere. Wir haben im Volk eine wunderbare Grundstimmung der Depression, Aggression und Entsolidarisierung. Wir haben bei den selbsternannten "Eliten" eine wunderbare Feindschaft gegen die Nation, die abendländische Kultur, die christlichen Werte. Nicht daß dies alles dem Patriarchen und seiner Mannschaft zu verdanken wäre - auch beim Abbruch und beim Totalverweigern eines Neubeginns sind die Regierungsgrünen nur der Kellner gewesen, nur ausführendes Dienst- und Hilfspersonal.

Die Grünen der Anfangszeit standen für eine Abkehr vom ziel- und wertlosen Mengenwachstum, von der Konsumanbetung, von Rohstoffvergeudung und Naturzerstörung. Sie standen für eine menschliche und freie Gesellschaftsordnung jenseits des privaten Raubtierkapitalismus, jenseits des bankrotten Staatskapitalismus. Sie standen für Positionen der goldenen Mitte zwischen Ost und West, für ein selbstbewußtes, aber nicht selbstverliebtes Deutschland außerhalb der Blöcke. Das ist lange her, und ein simples "Revival" der alten Ideen ist weder zu erwarten, noch wäre es hilfreich.

Aber eines steht fest: Ehe die Grünen nicht abkehren vom gescheiterten Kurs, ehe sie nicht zurückkehren zu einer gleichzeitig prinzipienfesten und taktisch beweglichen Orientierung auf eine strikt solidarische und ökologische, strikt friedfertige und freiheitliche Innen- und Außenpolitik, ist an keine ernsthafte Beteiligung am (Um)Steuern der deutschen Geschicke mehr zu denken. Wer nur reagiert, wer ohne Kopf und Herz ins Blaue agiert, der wird nicht regieren, der wird regiert - das ist Paragraph 1 im Grundgesetz der Politik.

 

Rolf Stolz ist Mitbegründer der Grünen und lebt als Publizist in Köln.


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