© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/05 30. September 2005

Das Wunder ist ausgeblieben
Wirtschaftspolitik: Fünfzehn Jahre deutsche Einheit - Jetzt geht es um Deutschland als Ganzes
Klaus Peter Krause

Die beiden deutschen Teilstaaten der Nachkriegszeit sind nun schon fünfzehn Jahre ein gemeinsamer Staat. Seit ihrer Vereinigung von 1990 haben sie eine gemeinsame Wirtschaftsordnung mit einer grundsätzlich marktwirtschaftlich geprägten Wirtschaftspolitik. Ins Werk gesetzt wurde diese bereits durch die Wirtschafts- und Währungsunion zwischen Bundesrepublik und Noch-DDR seit dem 1. Juli 1990. Diese Grundlage schien dann auch mit der politischen Vereinigung der Garant dafür zu sein, daß sich nun über den heute östlichen Teil Deutschlands, das frühere Mitteldeutschland, ein ähnliches Wirtschaftswunder ausbreiten würde wie von 1948 an mit der Währungsreform und der D-Mark im westlichen Teil.

Aber ein solches Wunder ist - trotz gewaltiger und augenfälliger Verbesserungen an der gesamten Infrastruktur - ausgeblieben. Um die eigenständige, flächendeckende Wirtschaftskraft steht es nach wie vor schlecht. Dabei beeinträchtigt das Lahmen der Wirtschaft in den alten Bundesländern die in den neuen zusätzlich, denn auch das wirtschaftliche Wachstum im Westen Deutschlands ist bei weitem zu dürftig, die Arbeitslosigkeit dort ebenfalls zu hoch und alles andere als rückläufig. Die Globalisierung, die Konkurrenz aus aufstrebenden Ländern wie China und Indien und ihre Folgen machen den alten und neuen Bundesländern schwer zu schaffen. Für die EU-Erweiterung um die Niedriglohnländer in Ostmitteleuropa gilt das gleiche.

Das zu schwache Wirtschaftswachstum und die hohe Arbeitslosigkeit haben ihre Ursachen in Veränderungen wirtschaftlicher Strukturen und der internationalen wirtschaftlichen Arbeitsteilung. Damit sich eine Wirtschaft, ihre Unternehmen und ihre Menschen, die von solchen Veränderungen getroffen werden, an sie anpassen können, brauchen sie Beweglichkeit.

Beweglichkeit benötigt Freiheit. Doch der deutsche Gesetzgeber hat die Freiheitsräume für das individuelle und schnelle Handeln im Lauf der zurückliegenden Jahrzehnte erheblich verkleinert. Er zerrüttet damit die Eigenverantwortung und lähmt die unternehmerischen Kräfte eines jeden Einzelnen. Zu vieles läuft ordnungspolitisch aus dem Ruder.

Die Einmütigkeit, mit der für zahlreiche Lebens- und Wirtschaftsbereiche grundlegende Reformen für nötig gehalten werden, zeigt, daß die Lähmung als höchst bedrohlich erkannt ist. Die politischen Parteien, die sich jetzt zu einer Koalition zusammenfinden müssen, sind in der Pflicht, solche Reformen ohne weiteren Verzug ins Werk zu setzen. Wo sie zu geschehen haben, ist inzwischen Allgemeinwissen.

Entscheidend ist nach fünfzehn Jahren nicht mehr, wie die neuen Bundesländer an die alten wirtschaftlich Anschluß finden, sondern daß Deutschland als Ganzes wieder Anschluß finden muß. Es muß gemeinsam auf die Beine gebracht und nachhaltig zukunftsfähig gemacht werden. Von einer durchgreifenden Gesundung wird dann jedes Bundesland auf seine Weise den Nutzen haben, die fünf östlichen ebenfalls.

Eine Sonderwirtschaftszone Ost mit besonderen Steuervorteilen? Sie ist ein falscher Weg; Fehlleitungen öffentlicher Gelder und bloße Mitnahme-Effekte lassen sich so gut wie nicht verhindern. Es muß wieder möglich werden, daß ohne staatliche Gelder gegründet, investiert und gearbeitet wird. Das setzt auch eine gründliche Steuerreform voraus.

Noch immer hängen die neuen Bundesländer zu stark am westlichen Finanztropf. Ihnen fehlen nach wie vor zu viele dynamische Eigenkräfte. Diese Kräfte verkörpern sich in Personen, die etwas bewegen wollen und etwas zu bewegen verstehen: in Unternehmern, vor allem in Unternehmern des Mittelstands in Gewerbe und Industrie. Arbeitskräfte waren und sind in den neuen Bundesländern zwar reichlich vorhanden, auch Grund und Boden, und das nötige Kapital hat der Staat in großen Mengen hinübergepumpt, tut es noch.

Aber das allein genügt nicht. Man braucht stets unternehmerische Menschen, die mit diesen Produktionsmitteln etwas anzufangen und mit ihnen wirtschaftlich umzugehen verstehen. Die Produktionsfaktoren Arbeitskräfte, Kapital, Grund und Boden sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Ohne Unternehmer mit ihrer Energie, ihrem Einfallsreichtum und ihrer Fähigkeit, belastbar zu sein, läuft in der Wirtschaft nichts.

Allein schon aus diesem Grund hätte es zwingend sein müssen, mit der Wiedervereinigung alles zu tun, damit gerade jener gehobene Mittelstand dorthin zurückkehrte, wo er ein halbes Jahrhundert zuvor als "Klassenfeind" der Kommunisten politisch verfolgt und vertrieben worden war. Sehr viele aus diesem Personenkreis sind 1990 dazu bereit gewesen, haben es versucht und wurden von den politischen Kräften, vom Staat, in törichter Verbohrtheit und Blindheit massiv daran gehindert.

Die meisten Betriebsstätten von Mittelstand und Industrie haben in der DDR weiter bestanden. Auch 1990 gab es sie noch. Nur waren sie durchweg veraltet und heruntergewirtschaftet. Doch hat sie der Staat nicht den rückkehrwilligen Eigentümerfamilien anvertraut, sondern sie an Personen verscherbelt, die sich vielfach nur an den im Osten gewährten Subventionen bereichern oder die Betriebe ausschlachten wollten oder auch beides. Oder er gab sie in die Hände von westdeutschen Unternehmen, die sie häufig nur deshalb übernahmen, um sie letztlich stillzulegen und sich auf diese Weise Konkurrenz aus dem Osten vom Leib zu halten.

Welche Chance hier vertan wurde und immer noch wird, ist daran zu sehen, was Familien, die trotz der Widerstände in ihre Heimat zurückgekehrt sind, mit Entbehrungen geschaffen haben. Sie voll zu nutzen, hätte für eine Rundum-Gesundung der mitteldeutschen Wirtschaft sicher nicht ausgereicht, ihr aber segensreiche Impulse gegeben.

Hätte man die 1945 geraubten und 1990 in die gesamtdeutsche Staatshand geratenen Vermögenswerte den Eigentümern zurückgegeben, wären den bürgerlichen Parteien CDU/CSU und FDP auch bei der jüngsten Wahl die Stimmen dieses wichtigen Teils ihres bürgerlichen Wählerpotentials nicht abhanden gekommen. Es sind immerhin einige hunderttausend. Mit ihnen stünde Schwarz-Gelb jetzt eindeutiger als Wahlsieger da.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen